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Rilke, hier als zeitgenössische Büste im Zentrum von Prag.

Foto: EPA/Singer

Wien - Der Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler (1872-1942) steht auf dem Gipfel seines Ruhms. Sein Gemälde Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff gilt als preiswürdiges Meisterwerk. Sein Haus im Künstlerdorf Worpswede hat er mit geschmacklicher Sorgfalt gebaut und kunstgewerblich eingerichtet. Der Wind streicht durch die Birken. Die Ansässigen sprechen ein drolliges Plattdeutsch und haben sich mit den Liebeseskapaden ihrer malenden Gäste abgefunden. Unter diesen befinden sich Berühmtheiten wie Paula und Otto Modersohn oder die Lyrikergattin Clara Rilke-Westhoff.

Es ist ausgerechnet die Freundschaft mit dem Dichter Rainer Maria Rilke, die Vogeler, dem Kunstgewerbler des Wilhelminismus, die gute Laune verdirbt. In Konzert ohne Dichter, dem meisterhaften neuen Roman des Oldenburger Autors Klaus Modick, breitet sich gleichmäßig das Unbehagen aus. Man wüsste keine Ursache zu nennen. Und doch ist Vogelers Künstlerpein, die Angst vor Selbstverlust und seelischer Verödung, in diesem Schicksalsjahr 1905 mit Händen zu greifen.

Kein lautes Wort ist vorderhand zu vernehmen. Vogeler durchstreift die Moorlandschaft. Betuchte Kunstsammler fallen in die Kolonie unweit von Bremen ein. Sie taxieren mit Gönnerblick die Plastiken und Bilder, die von Fritz Mackensen stammen oder Fritz Overbeck.

Rilke, der in einer Hütte mitten im Moor haust, entpuppt sich als veritabler Störenfried. Der Deutschen zweitliebster Dichter - nach Goethe - kultiviert den Stil eines Sehers. Er kann das Dichten einfach nicht lassen. In den unmöglichsten Situationen tropfen ihm Verse von den Lippen, die er rasch und schlampig in eines seiner vielen Notizbücher kritzelt. Dass er selbst eine kleine Denkschrift über seine Worpsweder Freunde verfasst hat: geschenkt.

Es sind Gefühle des Neids, die in Vogeler hochkriechen, und sie vergällen ihm nachhaltig die Lust am eigenen Schaffen. Der Traum von der Republik der Künstler ist ausgeträumt, noch ehe Modicks Roman richtig Fahrt aufnimmt.

Der gemächliche Erzählton führt in die Irre. Die Künstler der Moderne rücken unmerklich hinein ins Zentrum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Ihr wachsender Ruhm bezeichnet aber auch ihren Ruin. Rilkes Bindungsunfähigkeit bildet für die anderen das Menetekel. Figuren wie Vogeler sind im Begriff zu erstarren. Zugleich wirft ihnen die Klasse der besitzenden Mäzenaten Medaillen und Urkunden nach. Man begegnet Berühmtheiten wie dem Dramatiker Gerhart Hauptmann oder dem Dichter Rudolf Alexander Schröder. Ersterer gleicht in seiner weinseligen Umarmungslust aufs Haar dem Mynheer Peeperkorn, der berühmten Hauptmann-Karikatur in Thomas Manns Zauberberg.

Es scheint schwer glaublich, Modick (63) könnte nicht den heutigen Kulturbetrieb im Blick gehabt haben, als er sein ernüchterndes Buch schrieb. Er behält eisern die Perspektive Vogelers bei, um Rilke, den unsteten Gast, als unverantwortliches Subjekt zu entlarven. Das Gegenteil ist richtig. "Wann beginnt die Firnis zu reißen? Wann verfällt Schönheit zu Dekoration und Kulissenschieberei, wann wird sie zur Lüge?"

Liebe zur Sowjetunion

Der dies denkt, dazu Schwarzbrot isst und den Liebreiz seiner Frau für sich im Stillen verwünscht, wird viele Jahre später sein Leben als Künstler komplett neu entwerfen. Heinrich Vogeler fasste eine tiefe Zuneigung zur jungen Sowjetunion. Er übersiedelte 1931 endgültig in Stalins Reich und begann im Stile des Sozialistischen Realismus zu arbeiten. Modick bewegt die Kulissen des frühen 20. Jahrhunderts wie mit Fingerspitzen. Über Vogelers spätere "Konversion" verliert er kein Wort. Auch nicht über Vogelers elendes Zugrundegehen in Karaganda (Kasachische SSR).

Und so ist es Rilke, der von Spannung durchzitterte Asoziale, der Recht behält. Der Dichter der Duineser Elegien zog ruhelos weiter durch Europa. Aus Vogelers Konzert-Gemälde wurde er wegretuschiert. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 13.2.2015)