Ein Stück des burgenländischen Jakobswegs ist von Stacheldrahtschlingen flankiert. Dahinter ein kleiner Hügel, viel Gestrüpp und zwischen den Bäumen noch mehr Stacheldraht, der nur aus der Nähe erkennbar ist, so sehr hat ihn die Landschaft vereinnahmt. Über Kilometer hinweg wurde er durch das Niemandsland in der Nähe von Parndorf verlegt. Daran anschließend eine Brücke über einen Panzergraben: willkommen in der Bunkeranlage Ungerberg.

Rund um das Jahr 1960 angelegt, sollte sie einen Vorstoß der Warschauer-Pakt-Truppen aufhalten. Im kalten Krieg hat das österreichische Bundesheer für den Ernstfall vorgesorgt. 140 Bunker wurden hier zwischen Donau und Wiener Neustadt gebaut, die meisten davon auf Privatgrundstücken. "Das war die erste Verteidigungslinie", sagt Offiziersstellvertreter Josef Hatos, der nebenbei den Bunker betreut. Der Feind, so die Annahme der Militärs, wäre über die Parndorfer Platte gekommen, der nach dem damaligen Verteidigungsminister Karl Schleinzer benannte "Schleinzerwall" sollte dagegenhalten. Für russische Panzer wäre das Übersetzen über den Neusiedlersee zu langwierig gewesen, auch die Weingärten rundum galten wegen der verdrahteten Rebstöcke als unüberwindbares Hindernis für die damaligen Panzer. Die Bedrohung aus dem Osten war gegeben, und eines ist Soldat Hatos klar: "Der Russe hätte die Ungarn vorgeschickt."

Ein Rundgang durch den Bunker.
derstandard.at/fischer

Heute sind die Bunker großteils desarmiert – nichts weiter als unterirdische Räume, die burgenlandtypisch als (Wein-)Keller genutzt werden. Der Ungerberg-Bunker bei der Kaserne Bruckneudorf gibt sich zumindest militärisch, er ist heute ein Museum. Die Stahltür wird von einem Flammenwerfer gesichert. Bis zu drei Meter dick sind die Stahlbetonwände, alles noch händisch betoniert. Der Bau dauerte zwei Jahre. Viel weiß man darüber nicht. "Wie viele Soldaten hier mitgearbeitet haben, ist nicht bekannt. Pläne gibt es keine, der Bunker wurde unter strengster Geheimhaltung errichtet", erklärt Hatos. Bis zu 50 Mann hätten hier drei Wochen autark leben – und kämpfen – können. Eine eher theoretische Sichtweise. "Denn", so sagt Soldat Hatos, "das Heer hätte nur maximal einen Tag die Angreifer abwehren können. Solche Anlagen wurden für Stunden gebaut, eigentlich ein Wahnsinn." Es galt, auch einen anderen Zweck zu erfüllen: "Der Bevölkerung wurde signalisiert, der Feind kann nicht über sie drüberfahren."

Beton gegen Chemiewaffen

Geht es um theoretische Betrachtungen von Bunkeranlagen, landet man schnell bei Daniel Grünkranz. Der Wiener Architekt beschäftigt sich seit Jahren mit Befestigungsbauten. Seine Faszination erklärt er nicht durch eine Bunkerästhetik, die sich auch nur selten feststellen lasse. Für ihn ist der kontinuierliche Wandel interessant, der aus militärischer Entwicklung und Verteidigungstechnik entstanden ist. Das heißt, je stärker die Artillerie, desto massiver müssen die Mauern sein. "Es ist ein Kreislauf: Wenn die Waffen besser werden, muss sich auch die Defensivtechnik verbessern."

Per Definition ist ein Bunker ein Verteidigungsbau, konzipiert, um einer Angriffskraft widerstehen zu können. Stahlbeton ist ab dem 19. Jahrhundert der wichtigste Baustoff. Erst nach dem Ersten Weltkrieg findet er auch Eingang in die moderne Architektur. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Kirche Sainte Bernadette du Banlay in Nevers (Frankreich), die zwischen 1964 und 1966 gebaut worden ist. Auch sie ist ein Koloss aus Beton und erinnert an einen Bunker. "Stahlbeton ist teuer, aber effektiv. Er kann Explosionen widerstehen", sagt Grünkranz. Natürlich habe es auch ökonomische Überlegungen gegeben, wie man den Materialeinsatz minimieren kann, der Bunkerbau wurde daher standardisiert: "Er ersetzt auch die Mannschaft. Man braucht weniger Soldaten als bei offenen Feldstellungen."

Der Ungerberg-Bunker gilt als C-Waffen-sicher, hätte also chemischen Waffen standgehalten. Ob er auch atomsicher ist, weiß Soldat Hatos nicht. Bis in die 1980er-Jahre war die Angst vor der Atombombe allgegenwärtig – selbst in der Bauordnung fand sie Niederschlag, wie so oft in Österreich als Länderkompetenz. Bundesweit war nur geregelt, dass jedes neue öffentliche Gebäude über einen Schutzraum verfügen muss. Vorarlberg war 1962 das erste Bundesland, das eine Schutzraumpflicht gesetzlich verankerte. Das war wohl auch auf die Nähe zur Schweiz zurückzuführen, die als das Bunkerland schlechthin gilt, wie der Historiker Dario Summer in seiner Diplomarbeit "Angst im Frontstaat Österreich. Der Zivilschutz während des Kalten Krieges" schreibt. Wien verweigerte sich. "Die Adaptierung bestehender ziviler Bauten (z. B. Tiefgaragen, U-Bahn) als Schutzbauten hätte Unsummen verschlungen", führt Summer als pragmatische Erklärung an. Alle anderen Bundesländer zogen – mit unterschiedlicher Intensität – nach.

Beispiel Oberösterreich: Hier war die Vorschrift zunächst streng. Jeder Häuslbauer war verpflichtet, einen Schutzraum mit Sandfilter einzuplanen. Dann wurde die Regelung gelockert, sodass nur die Umfassungsmauern gebaut werden mussten, bis sie 1983 ganz abgeschafft wurden. Auch hier waren nicht die grenznahen Atomkraftwerke die Bedrohung, sondern die Angst vor der alles vernichtenden Bombe. Während heute noch viele Häuser aus jener Zeit ihre Schutzräume haben, gibt es Zweifel, wie sinnvoll die Vorschrift überhaupt war. Weil nur die Aufhängung für die Stahltür, nicht aber die Tür selbst eingebaut werden musste, wurde sie oft eingespart. Längst ist bei vielen aus dem privaten Bunker ein Ski- und Vorratskeller geworden.

Vegetarischer Notvorrat

Dass der persönliche Schutzraum gar nicht gesetzlich verordnet werden muss, um ein Markt zu sein, weiß Karl Hillinger. 1992 hat er die Firma Selbstschutzzentrum (Seba) mit Sitz in Gmunden übernommen und baut seither Bunker in Österreich, Europa und im arabischen Raum. Gut 10.000 Euro kostet das Komplettpaket, exklusive Ausstattung. Besonders stark sei die Nachfrage nach Katastrophen wie Fukushima und 9/11.

Selbst politische Unsicherheiten wie die Eurokrise sind laut Hillinger für viele Anlass, einen Schutzraum einzurichten. Seba vertreibt dazu nicht nur technische Ausstattung, sondern will auch das Überleben im Bunker sichern: mit Nahrungsmitteln, genauer gesagt Trockennahrung. "Alles, was man sich vorstellen kann, ist als Trockennahrungsmittel erhältlich: Chili con Carne, Spaghetti Bolognese oder Rührei und Dosenbrot." Nachsatz: "Doch ohne Gewürze schmeckt das nicht so gut." Billig ist die Bunkernahrung nicht: Der Notvorrat vegetarisch für 30 Tage kostet 286 Euro. Kunden will Hillinger nicht nennen, Diskretion ist angesagt. Aber: "Es gibt Leute, die bauen sich das Gleiche unter der Erde, was sie auch oben haben."

Die Funkanlage funktioniert noch immer, wie Offiziersstellvertreter Josef Hatos gern demonstriert: Das Relikt aus dem Kalten Krieg kann im Ungerberg-Bunker besichtigt werden. Dosenbrot gehört zur Basisausstattung jedes Bunkers, auch für private Schutzräume. Wer Abwechslung auf dem unterirdischen Speiseplan möchte, dem werden auch Spaghetti Bolognese als Trockennahrung angeboten. Auf einer Karte ist in Rot die angenommene Angriffslinie gegen Österreich eingezeichnet.
Foto: Der Standard/Fischer

Österreichweit soll es zwei Millionen Schutzraumplätze, vor allem in Privathäusern, geben. Wie der Staat vorsorgt? Die Bundesimmobiliengesellschaft verwaltet 275 Schutzräume. 160.000 Plätze gibt es in Bundesbauten, sie sind aber nicht für den Ernstfall gerüstet. Der größte Schutzraum ist im Infrastrukturministerium in der Wiener Radetzkystraße untergebracht und bietet Platz für 1.062 Personen. Er ist erdbeben-, einsturz-, brand- und explosionssicher und wurde 1986, im Jahr der Atomkatastrophe von Tschernobyl, eröffnet. Drei Wochen, so der Plan, könnten die Menschen hier überleben, für diesen Zeitraum gibt es Diesel für das Notstromaggregat. Kleines Detail: Für Minister gibt es einen separaten Teil.

Das Castel del Monte in Apulien gilt als Vorbild für die Wiener Flaktürme.
casteldelmonte.org

Stadtbild mit Flaktürmen

Bekannteste Schutz- und Wehrbauten sind wohl die von den Nationalsozialisten erbauten Wiener Flaktürme. Türme mussten her, damit die aufgepflanzten Flugabwehrkanonen im dichtverbauten Gebiet über die Dächer ragten. "Es gab drei Bauarten, sie wurden auch nur in drei Städten errichtet, in Berlin, Hamburg und Wien, weil Hitler Wien als besonders schützenswert empfunden hat", erklärt Bunkerexperte Grünkranz. Mastermind aller Flaktürme war Friedrich Tamms, der gemeinsam mit Albert Speer zum innersten Kreis der NS-Architekten zählte.

"Tamms hat nach dem Krieg behauptet, dass er diese funktionalistische Ästhetik haben wollte. Es gab aber auch Berichte, dass die Türme nach dem Krieg historizierend verkleidet werden sollten", sagt Grünkranz. Es mag grotesk erscheinen, aber beim Bau wurden auch städtebauliche Überlegungen eingearbeitet. Der Flakturm bei der Stiftskaserne etwa liegt in der Achse vom Michaelerplatz über die Burg, den Heldenplatz und die ehemaligen Hofstallungen. "Ähnlich ist es auch beim Augarten: Geschütz und Leitturm sind in die Achse der barocken Gärten eingepasst." Es gibt auch ein historisches Vorbild, das Castel del Monte in Apulien, das wie eine Bienenwabe mit Türmen aussieht.

Gänge verbinden die einzelnen Schusszonen, außen auf dem Hügel dient eine Hütte als Tarnung für eine Kanone.
Der Standard/Fischer

Bevor der Ungerberg-Bunker zum Museum wurde, fanden hier alle zwei Jahre Truppenübungen statt, zuletzt Mitte der 1990er-Jahre. Seither besuchen auch Soldaten die Anlage – aus historischem Interesse. Bewohner hat der Bunker dennoch gefunden: Siebenschläfer, die jeden Winter durch die Waffenabdeckungen schlüpfen und in den leeren Gängen spielen. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, DER STANDARD, 14.2.2015)