Heuer jährt sich Oslo II zum 20. Mal: das "Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen", das den Palästinensern Selbstverwaltung und Sicherheitskontrolle auf einem Teil des Territoriums des Westjordanlands zusprach (Zone A, heute etwa 18 Prozent). Zone B wurde palästinensischer Verwaltung unterstellt, mit israelischer Zuständigkeit für die Sicherheitsagenden. Zone C - die restlichen etwa 60 Prozent - blieb unter völliger israelischer Kontrolle. Ein Zonen-Fleckerlteppich, der das Leben der Palästinenser nicht einfach machte, war die Folge.

Der ursprüngliche Fahrplan sah vor, bis 1999 Klarheit über den Endstatus der Palästinensergebiete zu schaffen. Seit dieser Zeit geht das Denken über eine Lösung der Palästinenserfrage in eine einzige Richtung: Wann wird ein Palästinenserstaat gegründet und auf welchem Territorium? Gab es zu Beginn des Oslo-Prozesses offiziell das Wort "Staat" noch nicht, so geht es heute auch den allermeisten israelischen Politikern flüssig über die Lippen.

Für die Palästinenser ist die Waffenstillstandslinie von 1949, die bis 1967 - als Israel im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland und den Gazastreifen eroberte - Grenze war, der Bezugspunkt für ihren zukünftigen Staat. In den Schubladen verstauben mittlerweile dutzende Teilungspläne mit teilweise hochkomplizierten "Landtausch"-Konzepten, die den "Realitäten auf dem Boden", dem fortgeschrittenen Stadium des israelischen Siedlungsbaus und den wachsenden Siedlerpopulationen im Westjordanland, Rechnung tragen und die Palästinenser für Gebiet, das bei Israel bleiben würde, territorial entschädigen sollen.

Allein, es tut sich nichts. Die wenigen direkten Verhandlungsrunden, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat, wurden ergebnislos und immer einen Schritt näher an der Eskalation abgebrochen. Das übliche "blame game" - Wer ist schuld? - hat längst das Stadium der Redundanz erreicht.

Seit Jahren ist die Rede vom sich schließenden "window of opportunity", in dem der Palästinenserstaat gegründet werden müsse. Oder ist das Fenster gar schon geschlossen? Praktische Rechnung wird dem nicht getragen, das offizielle Ziel der Politik, das Thema in Medien und Wissenschaft bleibt "Palästina". Und hier setzt die Kritik an: Die Zweistaatenlösung sei eben nur mehr Diskurs, ein Ersatzdiskurs, dazu da, die Realität zu vertuschen, die sich durch einen Blick auf die Landkarte ergebe: Aus diesen Landfetzen soll noch ein Staat werden? An diesem Wort pflegte sich US-Präsident George W. Bush zu verheddern: "territorial contiguity", territoriale Angrenzung (Zusammenhang). Ist sie noch herstellbar?

Wachsendes Interesse

Aber was ist diese Realität, was für einen Namen hat sie? Damit beschäftigen sich heute sichtbar mehr Wissenschafter und Aktivisten als früher. Das Bruno-Kreisky-Forum für Internationalen Dialog beherbergt seit 2010 eine (nicht öffentliche) Konferenzschiene, bei der israelische und palästinensische Intellektuelle die "Alternativen zur Teilung" erkunden. Nach der Präsentation der Ergebnisse, die nun in Buchform vorliegen, gibt es dazu am Montag eine Veranstaltung in Wien (siehe Artikelende). Auch das VIDC (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation) thematisierte die "Alternativen" erst kürzlich wieder bei einer Tagung.

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Von Kriegsgegnern zu Friedensverhandlern: PLO-Chef Yassir Arafat (1974 und 2004) und Israels Premier Yitzhak Rabin (1967 bei der Eroberung Jerusalems und 1995)
Foto: AP/Lederhandler, EPA/JIM HOLLANDER/ AP/Government Press Photo

Zweifellos: Dieses Denken fällt ziemlich schwer, wenn man das ganze professionelle Leben damit verbracht hat, auf einen Durchbruch in der Zweistaatenlösung zu warten. Bei der VIDC-Konferenz wurde klar, dass manche - etwa ein Botschafter eines wichtigen arabischen Landes - die Alternativendebatte geradezu als Defätismus auffassen: Jetzt, wo ein Palästinenserstaat mehr Unterstützung hat als je zuvor in der Geschichte, wo "Palästina" UN-Beobachterstatus hat und einige europäische Parlamente ihren Regierungen die Anerkennung empfehlen (und Schweden diesen Schritt getan hat), kurz vor dem Ziel also, soll man aufgeben?

Die israelische Arbeitspartei unter Yitzhak Rabin hat sich zu Beginn der 1990er-Jahre ja gerade deshalb auf den Oslo-Prozess eingelassen, weil sie das fürchtete, was jetzt diskutiert wird: ein Einheitsstaat - wie immer dieser dann konkret aussieht -, in dem Israelis und (immer mehr) Palästinenser zusammenleben und in dem früher oder später die Entscheidung zwischen Demokratie und Apartheid getroffen werden müsste. "Einheitsstaat", das funktionierte bisher höchstens als Drohung. Auch der (vom Zionismus nicht unbeeinflusste) Nationalismus der Palästinenser setzte auf einen Staat - die Einsicht, dass er nur auf einem kleinen Teil des historischen Palästina errichtet werden kann und Israel in den Grenzen von 1967 anzuerkennen ist, so wie Israel die großisraelische Idee aufgeben musste, war der Schritt, der Verhandlungen möglich machte.

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Historischer Handschlag: Yitzhak Rabin und Yassir Arafat nach der Unterzeichnung des israelisch-palästinensischen Friedensabkommens im September 1993 im Garten des Weißen Hauses in Washington.
Foto: Reuters/Gary Hershorn/File

Rechte- statt staatsorientiert

Im Allgemeinen betonen die Alternativ-Denker, dass sie sich nicht prinzipiell gegen zwei Staaten zugunsten von einem aussprechen. Was man will, ist, die staatsorientierte Debatte durch eine "Rechte-orientierte" zu ersetzen. Das stößt in Europa auf Resonanz, während es in israelischem und palästinensischem Kontext der Linken (bzw. einem kleinen Teil von ihr) vorbehalten ist. Dazu gehört die Kritik daran, dass durch die Neuordnungsideen im Nahen Osten, etwa auch im Irak, der neoliberale Geist nach dem Ende der Sowjetunion weht, inklusive der "Integration des Kapitals" - was im Fall Palästina die politischen Eliten korrumpiert und deren Legitimation bei den Menschen zerstört hat.

Die Ablehnung ist entsprechend groß: in Israel schon allein deshalb, weil das Konzept der "gleichberechtigten Bürgerschaft" das Ende des "jüdischen Staates" bedeuten würde, dessen Identität Premier Benjamin Netanjahu ja sogar in Gesetzesform gießen will.

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Israelische Soldaten vor einer mit einem Bild von Yassir Arafat bemalten Mauer an einem Checkpoint.
Foto: EPA/Oliver Weiken

Israelis und Juden, die sich mit dem Einstaatenmodell beschäftigen, verweisen darauf, dass es "Binationalisten" auch früher gab - der Religionsphilosoph Martin Buber war einer davon. Auch 1947 gab es neben dem (von den Palästinensern nicht angenommenen) Teilungsplan noch ein föderales Modell. Aber man muss auch nüchtern konstatieren, dass diese Ideen nie mehrheitsfähig waren und dass in der Geschichte der beiden Völker - die einander diesen Status gern absprechen - ziemlich alles passiert ist, dass das so bleibt.(Gudrun Harrer, DER STANDARD, 13.2.2015)