Wien – Sabine Oberhauser (SPÖ) tut es. Reinhold Mitterlehner (ÖVP) tut es. ÖBB-Chef Christian Kern tut es. Sie alle folgen dem Onlinehype: Politische Vorschläge verkünden sie inzwischen via Twitter oder Facebook.

Erst zwei Monate nach seinem Amtsantritt als Vizekanzler entdeckte Reinhold Mitterlehner im November die Weiten der neuen Medien für sich. Konkret hat es dem ÖVP-Chef der Kurznachrichtendienst Twitter angetan. Inzwischen hat er mehr als 3.700 sogenannte "Follower". Ein Facebook-Profil sei vorerst aber nicht geplant, heißt es aus der ÖVP.

Tweet heizt Debatten an

Neben diversen "Selfies" twittert Mitterlehner unter anderem Folgendes: "Der arme Darabos wird zum Sisyphus: Eine Aussendung nach der anderen. Wäre doch Zeitvergeudung, über Reformen nachzudenken oder?" Für Furore sorgte der ÖVP-Politiker nach dem Tod des an Lungenkrebs erkrankten Journalisten Kurt Kuch, der für seine Raucherkampagne "Don´t Smoke" vor allem Social-Media-Kanäle genutzt hat. "Rauchfreie Lokale ja. Wir brauchen Finanzierung für Betriebe, die in Abtrennung R/NR (Raucher/Nichtraucher Anm.) investiert haben!"

Mitterlehner setzte damit eine Debatte über Raucherschutz in Gang – wohlgemerkt via Twitter. Gegen die einstige Parteilinie plädierte der ÖVP-Chef plötzlich für den Raucherschutz in allen Gaststätten Österreichs.

Stimmenfang im Netz

Keine österreichische Partei lässt der Social-Media-Boom kalt. Jede Einzelne versucht im digitalen Dschungel mit Facebook-Fanpage und Twitter-Account potenzielle Wähler anzusprechen. Laut Social Media Radar Austria waren im November des Vorjahres mehr als 125.800 Österreicher auf Twitter angemeldet, die Plattform Facebook hatte zu diesem Zeitpunkt 3.400.000 User.

Dass das unerwartete Statement des ÖVP-Chefs ausgerechnet über Twitter kommuniziert wird, ist für den Online-Kommunikationsstrategen Yussi Pick wenig überraschend. Denn es zeichne sich eine generelle Trendwende in der politischen Kommunikation ab. "Man kann nicht mehr sagen, dass Social Media bei Österreichs Politikern nur mehr eine Nebenrolle spielt", sagt Pick. "Twitter hat den Vorteil, dass man es, ohne großen Aufwand zu betreiben, in seinen Arbeitsalltag integrieren kann."

Facebook menschelt

Den größten Nutzen an Social Media sieht der Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes von der Universität Wien in der direkten Kommunikation: "Über diese neuen Kanäle können politische Akteure potenzielle Wähler direkt erreichen – Menschen, die klassische Medien nicht mehr konsumieren." Außerdem sei es Politikern online möglich, sich von einer anderen Seite zu zeigen.

"Auf Facebook gibt es die Möglichkeit der Personalisierung. Politiker können sich hier als Privatperson inszenieren, als einen Menschen, den man mögen kann", analysiert Universitätsprofessor Matthes. Vor knapp zwei Wochen wagte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser mit einem Posting auf ihrem privaten Facebook-Profil einen sehr persönlichen Schritt: "Jetzt steht die Diagnose fest – es ist Unterleibskrebs."

Offenheit im Netz

Doch neben zahlreichen Genesungswünschen, online und offline, gab es auch kritische Stimmen. Medienseiten mussten wegen einer "Anhäufung von Beleidigungen" Foren schließen. Inzwischen ist Oberhausers Facebook-Eintrag verschwunden, indem sie ihre Krankheit offenbart hatte. Stattdessen zieren ihre obligaten Wetterberichte, die sie beim morgendlichen Spaziergang mit Hund Felix prognostiziert, ihre Pinnwand.

Foto: Screenshot

Trotzdem setzt die frühere Ärztin weiterhin auf emotionale Botschaften: "Tag drei in meinem Wirrwarr der Gefühle beginnt", schreibt die Gesundheitsministerin nach dem Bekanntwerden der Krebserkrankung.

Abseits ihrer Facebook-Freunde folgen Oberhauser mehr als 1.100 User. Der Politikberater Pick findet ihren Auftritt erfrischend. "Sie kaut nicht bloß Phrasen wieder, die ihr von Spindoktoren eingebläut werden. Sie zeigt sich als mehrdimensionale Person – nicht nur als Politikerin, sondern auch als Mensch." Auch Jörg Matthes wertet den Facebook-Auftritt der Ministerin als passend: "Dass Oberhauser ihre Krankheit über Facebook anspricht, wundert mich nicht. Man kann hier auf persönliche und glaubwürdige Art kommunizieren, ohne den Filter der Presse."

Kern bleibt am Ball

Nicht ganz so privat gestaltet hat ÖBB-Chef Christian Kern seine Facebook-Seite. Statt den Wetterfrosch mimt der Unternehmer auf Facebook den Lockeren. So lässt er sich bei der Ice Bucket Challenge, einer Spendenaktion für den guten Zweck, einen Kübel voll Eiswasser über den Kopf leeren – ausgerechnet von seiner Ehefrau. "Kern zeigt, dass er ein Mensch ist, der nicht nur im Elfenbeinturm sitzt, sondern ein offenes Ohr hat, für das, was passiert", sagt Politikberater Pick. Seine lässige Art zieht bei den Usern. Kern weist auf seinem Titelfoto darauf hin, dass er auf seiner privaten Facebook-Seite leider nicht mehr als 5.000 Freundschaftsanfragen annehmen kann, und bittet darum, ihm zu "folgen". Das tun etwas mehr als 800 User.

Etwaige Sympathisanten brechen auf seiner Pinnwand in Lobeshymnen über den ÖBB-Chef aus. Bereits im August 2014 postet einer: "Christian Kern goes Bundeskanzler in ein paar Jahren – wär doch super." Kern nimmt zu diesem Posting keine Stellung. Erst nach dem Ballbesuch bei der Grazer Opernredoute als Gast vom steirischen Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) kommentiert er seinen angeblichen Putschversuch.

Der ÖBB-Chef, der seine Karriere als Pressesprecher bei der SPÖ begann, wählte die Flucht nach vorn. Über Facebook dementiert Kern, an die Spitze der SPÖ zu wollen. "Putschversuche finden doch wohl eher hinter dem Vorhang statt", kontert er spitz. Am Tag nach dem Opernball gießt er mit dem Posting eines Fotos, das ihn in der Loge des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl (SPÖ) zeigt, wieder Öl ins Feuer. Der Unternehmer merkt unter dem Bild an: "Mit unserem Bürgermeister am Opernball – Stadt, Bahn, Leben, kein Sonstwas!" Wenige Stunden nach dem Upload löscht er das Foto. Kern bittet in das Posting nichts hineinzuinterpretieren – ursprünglich sei das Foto für Freunde gedacht gewesen, ebenso wie er seine Facebook-Seite anfänglich für Freunde betrieben hätte. Inzwischen ist sein Posting wieder online.

Kein Kanzlertheater

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) wollte sich nicht öffentlich zu den Gerüchten über eine Nachfolge Kerns äußern. Generell setzt Faymann auf seine altbewährte Strategie und kommuniziert bewusst über Presseaussendungen und Interviews. "Es würde keinen Unterschied machen, ob Faymann sein Facebook-Profil weiterbetreiben lässt oder nicht. Denn so wie es derzeit ist, nützt es ihm nichts. Das liegt aber nicht nur an Facebook, sondern an seiner Kommunikationsstrategie im Allgemeinen", sagt Yussi Pick.

Nach zahlreichen Pannen wie getürkten Profilen von Faymann-Fans, gekauften Facebook-Freunden aus der Pornoszene und einem vergessenen Quellenhinweis eines Fotos aus der "Süddeutschen Zeitung" hält es Faymann online eher ruhig. Immerhin liken seine offizielle Fanpage inzwischen mehr als 16.700 Facebook-Nutzer. Gepostet wird dort vorrangig von seinen Onlineberatern, gezeichnet mit "tb", Team Bundeskanzler.

Frage nach Authentizität

Neben Hinweisen auf das Pressefoyer nach einem Ministerrat und Zitaten von diversen Faymann-Interviews tauchen nur vereinzelt eigene Statements des Bundeskanzlers auf. Beispielsweise wünscht er Sabine Oberhauser wie auch einst der früheren an Krebs verstorbenen Nationalratspräsidentin, Barbara Prammer, über Facebook eine baldige Genesung. Seine diversen Twitteraccounts "wernerfaymann", "wfaymann" und "teambundeskanzler" wurden seit Monaten nicht mehr gefüllt.

Screenshot

Für Jörg Matthes von der Universität Wien ist das Schlüsselwort beim politischen Onlineauftritt Authentizität: "Langfristig kann kein Politiker personalisiert dargestellt werden, wenn er nicht der Typ dafür ist. Das wirkt nicht echt. Da fragt man sich dann: Was ist denn das für ein Kasperltheater?" Seit kurzem wird die Pinnwand des Kanzlers wiederbelebt – zeitgleich mit der Einstellung des Pressesprechers, Matthias Euler-Rolle, einem früheren Radio- und Fernsehmoderator. (Sophie-Kristin Hausberger, DER STANDARD, 16.2.2015)