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In Harvard sind Beziehungen zwischen Professoren und Bachelor-Studenten nun verboten.

Foto: AP/Lisa Poole

Die US-Eliteuniversität Harvard verbietet ihren Professoren neuerdings jegliche romantischen und sexuellen Beziehungen mit Bachelor-Studierenden der Hochschule, den so genannten Undergraduates. Bislang war es Professoren lediglich untersagt, mit Studenten, die sie unterrichten, Beziehungen einzugehen.

Dieses neue Verbot, abgeleitet von einem bisher gültigen Verhaltenskodex, gilt nicht nur zwischen Professoren und allen Bachelor-Studierenden, sondern in abgeschwächter Form auch für unterrichtende Doktoranden und Master-Studenten. Lehrpersonal wie diesem sind künftige intime Beziehungen mit Studierenden in direktem Betreuungsverhältnis verboten. "Die Klarstellung soll betonen, dass wir in unseren Studenten keine potenziellen Partner sehen, sondern Studenten", erklärte Geschichtsprofessorin Alison Johnson, Leiterin des zuständigen Ausschusses in Harvard. Welche Konsequenzen ein Zuwiderhandeln habe, sei noch nicht geklärt.

Die Elite-Universität folgt damit einer kleinen Zahl weiterer Hochschulen nach, unter anderem der renommierten Yale-Universität, die Beziehungen zwischen Lehrenden und Bachelor-Studenten verbieten. Das Gros der US-Universitäten findet in Verhaltenskodizes das Auslangen.

Druck seitens des Bildungsministeriums

Mit dem neuen Verbot reagiert Harvard auf Vorwürfe des US-Bildungsministeriums, am Campus bislang nicht genügend zur Aufklärung von Fällen sexueller Gewalt beigetragen zu haben. Die Universität sei damit in Konflikt mit "Title IX", einem Bundesgesetz gegen Geschlechter-Diskriminierung, sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt im Bildungswesen. Das Gesetz verpflichtet staatlich geförderte Bildungseinrichtungen, bei diesbezüglichen Fällen entsprechend zu handeln. Tun sie das nicht, droht den Universitäten im schlimmsten Fall die Streichung staatlicher Förderungen. Im vergangenen Jahr hatte das Bildungsministerium eine Liste Dutzender Hochschulen veröffentlicht, die wegen Klagen über sexuellen Missbrauch und Belästigung unter staatlicher Beobachtung stehen - darunter auch Harvard.

Johnson und weitere Mitglieder des Ausschusses in Harvard, hätten sich viele Gedanken gemacht, welchen Einfluss Machtdynamiken und Abhängigkeitsverhältnisse auf sexuelle Belästigung haben könnte. Das Komitee habe deshalb entschieden, dass die bisherige Sprachregelung von "Beziehungen mit ungleichem Status" nicht deutlich genug gewesen sei.

Dem aktuellen Verbot an der Eliteuniversität nahe Boston war bereits im Vorjahr eine umstrittene Richtlinie über geschlechtsbezogene und sexuelle Belästigung vorangegangen, die den Tatbestand und die Bewertung der Schuldfrage neu definiert. Kritiker, unter ihnen renommierte Professoren der juridischen Fakultät in Harvard, sehen darin die Grundpfeiler eines fairen Verfahrens verletzt. Die Regelung sei alleinig zum Nachteil etwaiger Beschuldigter ausgelegt, so die 28 Professoren in einem offenen Brief im "Boston Globe", eine für Harvard ungewöhnlich öffentliche Maßnahme. Ihre Kritik stützt sich vor allem auf die fehlende Unschuldsvermutung und Ausweitung der Definition für sexuelle Belästigung, die weit über das "Title IX"-Gesetz hinausgehe. So fallen nun auch sexuelle Anspielungen oder anzügliche Witze und Gesten sowie unsittliche Kommentare über die Körper anderer unter diese Begrifflichkeit.

Ein neu eingerichtetes Büro soll Beschwerden dieser Art nachgehen. Dabei gelte allerdings der Grundsatz der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, was so viel heißt wie: Sind Vorwürfe für eine Tat wahrscheinlicher als dass diese nicht zutreffen, reicht dies für eine Schuldzuweisung aus. Von einer Universität eingeführt, die ihren guten Ruf vor allem ihrer juridischen Fakultät verdankt, ein überraschendes Vorgehen. Inzwischen zogen auch andere Ivy-League-Universitäten wie Princeton mit ähnlichen Regelungen nach.

Die Vorwürfe gegen die neuen Richtlinien laufen vor allem auf eines hinaus: Harvard beuge sich dem Druck der Politik, um die staatlichen Förderungen nicht zu verlieren. In dem offenen Brief im "Boston Globe" heißt es seitens der Professoren: "Wir befürworten nachdrücklich Maßnahmen, die unsere Studenten vor sexuellen Übergriffen schützen. Wir sind aber der Ansicht, das von Harvard verabschiedete Regelwerk richtet mehr Schaden an, als es Gutes tut."

Protestaktionen und öffentliche Debatten

Harvard sieht sich wie viele andere Universitäten, darunter weitere Elite-Hochschulen wie Princeton und Berkeley, mit dem Vorwurf konfrontiert, Beschwerden über sexuelle Übergriffe und Belästigungen unter den Teppich zu kehren. So sind in den vergangenen Monaten immer wieder solche Vorfälle bekannt geworden. Jener der Kunststudentin Emma Sulkowicz, die an der Columbia University studiert, hat im In- und Ausland für besonderes Aufsehen gesorgt. Seit der mutmaßlichen Vergewaltigung durch einen Studienkollegen, und dessen Freispruch durch die Universität, trägt sie auf dem New Yorker Campus eine Matratze auf dem Rücken mit sich herum.

Eine Protestaktion, die in den USA eine öffentliche Debatte ausgelöst hat und den Fokus auf die abgeschottete Welt des Universitäts-Campus lenkt. Im Zuge dieser wird ersichtlich, dass Universitäten, mitunter aus Angst um ihren Ruf, nur wenig an der Erhebung der tatsächlichen Situation interessiert sind. Abgesehen von den öffentlichen Statistiken über angezeigte Sexualdelikte sind bisher nur in Ausnahmefällen umfassende Daten öffentlich zugänglich - so etwa eine kürzlich durchgeführte Umfrage am MIT, Harvards Nachbaruniversität. Statistiken wie diese zeigen eine große Diskrepanz zwischen tatsächlich vorgefallener und untersuchter Vorfälle. "Ich bin schockiert über das Ausmaß sexueller Übergriffe, die die Grundwerte des MIT verletzen und keinen Platz an diesem Ort haben. Durch die neu erhobenen Daten können wir handeln und entsprechende Maßnahmen setzen", sagt MIT-Präsident Rafael Reif.

Der Campus, die Parallelwelt

Ein Universitätscampus in den USA ist nicht vergleichbar mit jenen im deutschsprachigen Raum. Es ist ein Mikrokosmos, ein Stadtstaat, in dem die Studenten leben. Während hierzulande Universitäten ausschließlich dem Besuch von Lehrveranstaltungen dienen, ist der Campus für US-Studenten der Lebensmittelpunkt. Sie studieren nicht nur am Campus, sie wohnen meist auch dort und verbringen den Großteil ihrer Zeit in diesem geschlossenen System. Ein Campus verfügt oft über eigene Campuspolizei und Security-Personal - Faktoren, die bei der Wahl der Universität mitunter eine große Rolle spielen. Soll das Universitätsumfeld doch für angehende Studenten und deren Eltern vor allem eines sein: sicher und behütet. Dabei hilft die Tatsache, dass Hochschulen Verstöße und Beschwerden meist intern regeln. Sie sind selbst dann zum Handeln verpflichtet, wenn zusätzlich Anzeige bei der Polizei erstattet wird. Durch dieses eigene System haben Universitäten die Möglichkeit, ihre Studenten zu erziehen und in richtige Bahnen zu lenken, bevor es zu einer offiziellen Verurteilung kommt.

Geschlossenen Systemen wie diesen wird nun die Schaffung von Rahmenbedingungen zugeschrieben, welche die Klärung von sexuellen Übergriffen zusätzlich erschweren. Bezeichnend ist, dass die Universitäten nur durch staatlichen Druck und aufgrund befürchteter Konsequenzen ihre Regeln zu ändern bereit waren.

"Ich glaube nicht, dass die Angelegenheit mit Einführung des neuen Regelwerks erledigt ist. Aber ich denke es ist ein guter Startpunkt für eine weitere Debatte", so Alison Johnson. (Ursula Schersch, derStandard.at, 13.2.2015)