Bild nicht mehr verfügbar.

Dimitris Avramopoulos, derzeit EU-Kommissar für Migration und Inneres, könnte nächster griechischer Präsident werden.

Foto: EPA/BERND VON JUTRCZENKA

Griechenlands Linke und ihre Wähler haben eine Schwäche für Leonard Cohen, den kanadischen Liedermacher. "First we take Manhattan, then we take Berlin", ist die Songzeile, die Anhänger der Linkspartei Syriza bei Kundgebungen regelmäßig jubeln lässt. Gemeint ist damit natürlich der politische Sieg über Europas "Zuchtmeister", das trotzige Versprechen der Griechen, ihre Kreditgeber in Berlin herumzukriegen. "Manhattan" ergab nie einen rechten Sinn, doch nun könnte daraus ein anderes Ziel werden: Der linke Regierungschef Alexis Tsipras und seine Partei wollen erst Brüssel einnehmen und anschließend Berlin. Am Sonntag verdichteten sich die Zeichen, dass der griechische EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos als Kandidat für das Präsidentenamt nominiert würde.

Den 62-jährigen Dimitris Avramopoulos ins höchste, wenn auch vorwiegend zeremonielle Amt des griechischen Staats zu hieven wäre ein taktisch kluger Zug für Tsipras: Avramopoulos, ein ehemaliger Außen- und Verteidigungsminister und früherer Bürgermeister von Athen, von dem bekannt ist, dass er nur zu gern in den Präsidentenpalast einziehen würde, müsste in der EU-Kommission ersetzt werden. Tsipras könnte einen Syriza-Mann in der Brüsseler Kommission platzieren. Und dies in einem Moment, wo seine Regierung mit dem Rücken zur Wand steht und von den anderen EU-Regierungen gedrängt wird, Sparkurs und Kreditprogramm fortzusetzen.

Die Wahl des EU-Kommissars für Migration und Inneres hätte noch einen zweiten großen Vorteil. Avramopoulos ist ein langjähriger Politiker der konservativen Nea Dimokratia und sogar ein stellvertretender Parteichef. Nominiert ausgerechnet die Linke einen Vertreter der Konservativen, die sie erst bei den Parlamentswahlen vor drei Wochen vernichtend geschlagen hat, wäre das ein Signal an die anderen Europäer: Griechenland steht geschlossen in der Machtprobe um die Neuverhandlung der Kredithilfe; der radikale Kurswechsel in Athen ist nicht länger nur die Sache eines in Regierungsdingen unerfahrenen linken Diskutierklubs.

Rückhalt in der Bevölkerung

Neue Umfragen zeugen von dem stetig wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung für die Regierung. Die Unbeugsamkeit von Premier Tsipras und seines Finanzministers Yiannis Varoufakis imponiert den stolzen Griechen. Drei Viertel der Bevölkerung stören sich demnach nicht sonderlich am drohenden Staatsbankrott und unterstützen den Bruch mit der Troika – den ungeliebten Kreditgebern von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalen Währungsfonds. Das ist auch führenden Politikern der Nea Dimokratia nicht entgangen. Sie stellten sich gegen ihren Nochvorsitzenden, den geschlagenen Exregierungschef Antonis Samaras. Der hatte beim traditionellen Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) vor dem EU-Gipfel vergangenen Donnerstag eine Erklärung mitgetragen, in der Tsipras gemahnt wurde, kein Hindernis zu sein und Vereinbarungen mit den EU-Regierungen und der EZB einzuhalten. "Was für eine Schande für die EVP", twitterte Dora Bakoyannis, wie Avramopoulos eine ehemalige Athener Bürgermeisterin und Exaußenministerin; die europäischen Konservativen unterschätzen, dass die Griechen bei "nationalen Verhandlungen" über den Parteien stünden, schrieb sie.

Tsipras, der selbst durch die Blockade der Präsidentenwahl im Parlament vergangenen Dezember die allgemeinen Neuwahlen erzwungen hatte, dehnt bereits den Zeitrahmen, den die Verfassung setzt: Die Neuwahl des Präsidenten habe zu erfolgen, "sobald sich das neue Parlament konstituiert hat" – das war am 5. Februar –, so legt Artikel 32 fest, und "wenigstens einen Monat" vor Ablauf des Mandats des amtierenden Staatschefs. Die Amtszeit von Karolos Papoulias endet am 12. März. Für die Wahl seines Nachfolgers gelten nun, im zweiten Anlauf, einfachere Bedingungen als im Dezember: 180 von 300 Stimmen im ersten Wahlgang, 151 im zweiten, lediglich eine relative Mehrheit für die dritte Wahlrunde. Nea Dimokratia hat allerdings bereits signalisiert, dass sie eine Kandidatur ihres Parteimannes, von Syriza vorgeschlagen, unterstützen werde. (Markus Bernath, DER STANDARD, Langfassung, 16.2.2015)