Clemens Mädges "Geronnene Interessenslage" wurde im Schauspielhaus Wien u.a. mit Gideon Maoz (li.) und Steffen Höld uraufgeführt.

Foto: Pelekanos

Man tappt im Dunkeln, weil es einem schlafenden Gott so gefällt: Nicola Kirsch und Steffen Höld als Untermieter einer leider sterbenslangweilig anmutenden Kunstgewerbe-Welt.

Foto: Pelekanos

Wien - Als Friedrich Nietzsche Gott für tot erklärte, setzte er eine Ente in die Welt. Die gute Nachricht lautet: Wer dieser Tage das Wiener Schauspielhaus besucht, wird eines Besseren belehrt. Gott gibt es wirklich. Er heißt "Herr Otto" und gehört, da er von früh bis spät faulenzt, zu den notorischen Schnarchern. Sein Wiederauftauchen verdankt er dem Hamburger Dramatiker Clemens Mädge (Jahrgang 1983). Diesem wurde für das Stück Geronnene Interessenslage unlängst das Hans-Gratzer-Stipendium zuerkannt.

Aus Anlass der Uraufführung ist es an der Zeit, mit der schlechten Nachricht herauszurücken. Nietzsche wird im Wesentlichen bestätigt. Gott, den man höchstens als Schattenwurf oder als Spielzeugskelett zu Gesicht bekommt, hat nämlich schon bessere Zeiten gesehen. "Das ganze Stück", schreibt Mädge, "spielt in einer Wand, die komplett (bis unter die Decke) aus Schränken, Kommoden, Regalen und Nachttischen zusammengebaut ist."

Nichts von alledem in der Inszenierung Robert Borgmanns. Gott Otto, dem ebenso An- wie Abwesenden, ist die eigene Schöpfung herzlich egal. Als Haushälterin wacht die verwahrloste Frau Anna (Margarethe Tiesel) über die ordnungsgemäße Nutzung des Inventars. Von einem Möbelhaus keine Spur. Geometrische Figuren aus Leuchtstoffröhren sorgen für symbolhaltige Luft. Ein geschasster Literaturprofessor namens Ewgenij (Steffen Höld) steht stark vornübergebeugt, als müsse er den aufrechten Gang erst erlernen.

Vier Personen bilden den Mieterverein. Sie suchen einen Schöpfer, der sich offenbar in einen schwarzen Würfelblock (Ausstattung: Borgmann) verkrochen hat. Manchmal tragen sie auch schwarze Gesichtsmasken oder bewegen sich wie Robert-Wilson-Figuren. Eine Schnapstrinkerin namens Gratsche (Myriam Schröder) drückt als gelernte Straßenmusikantin mit großer Hingabe Töne auf dem Keyboard. Man ist baff vor so viel Kunstwollen. Man hat aber keine Ahnung, worüber die handelnden Personen eigentlich sprechen.

Kein Kasten, keine Kommode, an deren Holz man sich halten könnte. Dafür schwatzen die Damen und Herren Papier. Man ahnt Verwandtschaftsverhältnisse, die der Autor im Sinn gehabt haben könnte. Die Zeit steht still oder bewegt sich - eines Sinnes mit der Drehbühne - kreisförmig. Die patente Grundschullehrerin Matuschka (Nicola Kirsch) könnte einem Tschechow-Stück entsprungen sein. Der "Angestellte" Paul (Gideon Maoz) gehört zu den Liebessehnsüchtigen. Sie alle sind letzte Menschen, deren Antriebskräfte leerlaufen. Kein Gott, der sie knetet, mit Atem behaucht. Man wünscht sich lebhaft, an der Seite des ominösen Herrn Otto eine Mütze metaphysischen Vollschlafs nehmen zu dürfen.

Borgmann, demnächst mit Die Unverheiratete beim Berliner Theatertreffen, hat Gott Otto selbst nicht über den Weg getraut. Daher zitiert eine sonore Stimme aus dem Off wiederholt das Brecht-Gedicht Der Radwechsel. Warum? Fragen Sie Herrn Otto! (Ronald Pohl, DER STANDARD, 16.2.2015)