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Einkaufen, was das Zeug hält – ein Motto, nach dem auch die Kanadier leben.

Foto: APA/Pfarrhofer

Cait Flanders konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr klar denken, alles drehte sich um ihre finanzielle Misere: Schulden von umgerechnet 20.000 Euro. Die 27-Jährige fühlte sich "als Verliererin", sagt sie. Aus Scham vertraute sie sich weder Familie noch Freunden an. Aber sie entblößte ihre Schulden in einem Blog, den sie "Blonde on a Budget" (Blondine mit kleinem Budget) nannte. "Der Blog zwang mich, Rechenschaft abzulegen." Damit erregte sie Aufsehen in ganz Kanada. Minutiös rechnete sie ihrem Publikum vor, wie viel sie von ihrer Schuld abtrug, wo sie scheiterte, wo sie Fortschritte erzielte.

Sie vermied Einkaufszentren und Onlineläden "wie die Pest", ging abends nicht mehr aus und zog wieder bei den Eltern ein, um die Miete zu sparen, sie versteckte ihre Kreditkarten zu Hause. Sie vermied Situationen, die sie zum Geldausgeben verleiten konnten.

Hartes halbes Jahr

Nach sechs Monaten war ihre Schuld bereits um 7.000 Euro leichter. Als sie dem Ziel der Schuldenfreiheit immer näher kam, wurden wichtige Medien auf die Bloggerin aufmerksam. "Diese 27-Jährige trug 28.115 Dollar Schulden ab – in weniger als zwei Jahren", titelte etwa die nationale Zeitung "The Globe and Mail". Cait Flanders, die sich nicht scheute, mit ihrem richtigen Namen im Internet aufzutreten, traf einen Nerv bei ihren Landsleuten. Denn viele Kanadier leben auf Pump. Die Bank of Canada hält die private Verschuldung der Bürger für das größte Risiko der Wirtschaft.

Kanadier leben auf Pump

Nicht so die Kanadier. Die stehen zwar tief in der Kreide – im Schnitt mit 55.000 Euro pro Kopf –, aber sie machen sich darüber zu wenige Sorgen. In der Finanzkrise 2008 kam Kanada relativ glimpflich davon. Und wegen der sehr tiefen Zinsen haben sich die Kanadier freudig billiger Kredite bedient. "Für jeden Dollar ihres verfügbaren Einkommens sind sie mit 1, 63 Dollar verschuldet", sagt Scott Hannah, Vorstand der Credit Counselling Society in Vancouver, eines Schuldenberatungsbüros. "Die Leute fühlen sich viel zu wohl mit ihren Schulden." Sollten die Zinsen steigen, droht vielen Kanadiern der Bankrott.

Cait Flanders fing nur mit einer kleinen Studentenschuld an. Ihre Eltern hatten ihr 3.200 Euro für die Universitätskosten geliehen. Das hätte sie schnell zurückzahlen können, hatte sie doch ein Jahresgehalt von fast 40.000 Euro. Die meisten Kanadier dagegen müssen im Schnitt mehr als 20.000 Euro Studentendarlehen an die Regierung abstottern. Oft dauert es lang, bis sie nach dem Studium eine Stelle finden. "Sie brauchen im Schnitt zehn Jahre, bis sie ihren Schuldenberg abgezahlt haben", sagt Hannah.

"Alles neu gekauft"

Das war bei Cait nicht der Fall. Sie versank trotzdem schnell in Schulden, auch ohne Luxusleben. Ihre Zimmer in einem Wohnturm in Port Moody, einer Vorstadt von Vancouver, sind spartanisch eingerichtet, und ihre Kleiderschränke wirken fast leer. "Ich besaß auch nicht fünfzig Paar Schuhe", sagt sie. Aber als sie nach Toronto zog, floss das Verdiente schnell weg: "Ich kaufte alles neu: Auto, Möbel, stets das Schönste, und alles teuer." Sie ging ständig aus, überzog ihr Konto, schaute aus Angst die Abrechnungen nicht mehr an: "Das war ein riesiges Warnlicht." Als nur noch 100 Dollar auf dem Konto waren, wachte sie auf – und hat ihren Blog begonnen.

Ihre Leser spornten sie bei ihren Sparbemühungen an. Erst als sie die Kreditkartenschuld zurückgezahlt hatte, erfuhren ihre fassungslosen Eltern davon. "Sie hatten geglaubt, ich sei so klug im Umgang mit Geld", sagt Cait.

Aus dem Sumpf gezogen

Nun zog sie in eine kleine Wohnung in Port Moody, sparte wie verrückt: keine Schuhe, Kleider, Möbel, Bücher. Stattdessen benutzt sie die Bücherei. Als sie ihre Schulden endlich losgeworden ist, begann sie ihren Blog mit einem Freudenschrei: "Hallo, Freiheit!" Viele fragten, wie sie das gefeiert habe, aber Flanders relativiert: "Ich habe mich nur aus dem Sumpf gezogen, in dem ich aus freien Stücken versunken bin."

Sich selbst hat sie gerettet, aber für Kanada ist sie pessimistisch: "Die Leute leihen zu viel Geld aus." In ihrem Blog konzentriert sie sich nun darauf, die Leute zu ermuntern, ihr Sparkonto zu füttern. "Ich versuche, von der Hälfte meines Einkommens zu leben", sagt sie. "Den Rest lege ich auf die hohe Kante." Nur Lebensmittel, Benzin und absolut Notwendiges finden sich heute in ihrem Budget. Trotzdem sei sie völlig zufrieden: "Ich bin seit über einem halben Jahr nicht mehr auf Einkaufstour gegangen, und das finde ich großartig." (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, 16.2.2015)