Der Brite Sir Tom Courtenay erhielt den Silbernen Bären.

Filmszene aus "45 Years" mit Charlotte Rampling

Ein echter Gentleman versteht es, sich mit Understatement zu verneigen. "Mein alter Freund Albert Finney hat diesen Preis 1985 gewonnen", sagte Sir Tom Courtenay am Samstagabend, als er den Silbernen Bären als bester Darsteller entgegennehmen durfte. "Ich habe nur 30 Jahre gebraucht, um mit ihm gleichzuziehen."

Mit dem Bonmot verwies der 77-jährige Mime auf unvergleichlich britische Weise auf seine Anfänge im Kino. Gemeinsam mit Albert Finney, Alan Bates und Peter O'Toole gehört er zu jener Schauspielergeneration, die Anfang der 1960er-Jahre als Teil der British New Wave dem Film ein wirklichkeitsnäheres Gesicht verlieh. Sie wurden als "Angry Young Men" bezeichnet. Zornig sei er aber nie gewesen, so Courtenay, eher verblüfft. Das ist sein typischer Stil.

Andrew Haighs Film 45 Years, der den 2001 geadelten Schauspieler mit einer anrührenden Altersrolle beschenkt, versteht es, mit diesem Hintergrund zu spielen. Courtenay verkörpert einen Mann im Ruhestand, der sein rastloses Herz behalten hat. Als er erfährt, dass die Leiche seiner Jugendliebe gefunden wurde, erfasst ihn eine Unruhe, die seine Ehe gefährdet.

1962 spielte Courtenay die Hauptrolle in Tony Richardson Die Einsamkeit des Langstreckenläufers, heute ein Klassiker des Free Cinema. Der Mann aus 45 Years wirkt ein wenig wie die gealterte Version dieses Parts. Immer noch glimmt in ihm eine stille Wut.

Courtenay, 1937 in Hull, einer Hafenstadt im Nordosten Englands, geboren, stammt selbst aus dem Arbeitermilieu. Seine Mutter hat Fischernetze geflochten, ihre Liebe zur Literatur gab sie an den Sohn weiter. Er bekam ein Stipendium, studierte Englisch in London, ehe er den Sprung auf die Royal Academy of Dramatic Arts wagte, wo er auf jene Truppe traf, die zum Film strebte.

Dann ging alles sehr zügig. 1965 war Courtenay der Revolutionär Pascha Antipow in Doctor Schiwago, wofür er seine erste von zwei Oscar-Nominierungen erhielt. Hollywood blieb dem scheuen Briten jedoch fremd, er galt bald als wählerisch. Anders als seine Kollegen vermisste er das Theater - und kehrte zurück nach England. Nur sporadisch gab es Comebacks beim Film (1983 für The Dresser). Alles hänge davon ab, welchen Weg man wählt, sagte Courtenay einmal: "Es geht um Entscheidungen, darum, was im Moment richtig ist." Nun wollte es der zurückhaltende, sympathische Mann wohl noch einmal wissen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 16.2.2015)