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In gezielten Evakuierungsaktionen bringt die italienische Regierung ihre bisher in Libyen lebenden Staatsbürger nach Hause. Im Bild ein Schiff, das soeben im ostsizilianischen Hafen Augusta angelegt hat.

Foto: EPA / Orietta Scardino

Am Sonntag ist die italienische Botschaft in Tripolis "vorübergehend" geschlossen worden - als letzte westliche Vertretung in der libyschen Hauptstadt. Das diplomatische Personal wurde - gemeinsam mit weiteren italienischen Staatsbürgern - in der Nacht auf Montag per Schiff Richtung Italien evakuiert. Als Begründung gab Rom die verschlechterte Sicherheitslage an, die sich aus dem Vorrücken der Kämpfer der Terrormilz "Islamischer Staat" (IS) ergeben habe.

Schon nach der Eroberung der Stadt Sirte im Osten Libyens durch die IS in der vergangenen Woche hatte Rom die Italiener in Libyen aufgefordert, das Land zu verlassen. Vor allem der Energieriese Eni beschäftigt im Land zahlreiche italienische Mitarbeiter.

Italien als "Zentrum des Kreuzfahrertums" ist seit längerem ein Propagandaziel islamistischer Terroristen. So wurde etwa eine Fotomontage verbreitet, auf welcher der Obelisk auf dem Petersplatz in Rom zu sehen ist, über dem die schwarze IS-Flagge flattert. Auch im neuen Gräuelvideo des IS, das die Enthauptung 21 koptischer Christen aus Ägypten zeigt, werden Drohungen an die Adresse Roms ausgestoßen: "Erst habt ihr uns auf einem Hügel in Syrien gesehen, jetzt sind wir im Süden von Rom, in Libyen." Und weiter: "Ihr habt Osama Bin Ladens Leichnam ins Meer geworfen, jetzt werden wir eurer Blut mit dem seinen mischen."

Nachbarland, Ex-Kolonie

Libyen ist für Italien gleichsam ein Nachbarland, bis zum Zweiten Weltkrieg war es gar eine Kolonie; die italienische Insel Lampedusa liegt nur rund 300 Kilometer vor der libyschen Küste.

Schon denken Außenminister Paolo Gentiloni und Verteidigungsministerin Roberta Pinotti laut über eine Intervention in Libyen nach, gegebenenfalls unter italienischer Führung; natürlich müsse ein solcher Militäreinsatz mit einem Uno-Mandat ausgestattet sein. Nur unter dieser Voraussetzung würde auch Österreich eine allfällige Beteiligung prüfen, hieß es am Montag in Wien.

Auch Regierungschef Matteo Renzi zeigte sich "besorgt", betonte aber nach einem Telefonat mit Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi, dass es verfehlt wäre, nach der bisherigen Gleichgültigkeit gegenüber Libyen jetzt in Hysterie zu verfallen. In dem "außer Kontrolle geratenen Land" müsse verantwortlich und vorsichtig vorgegangen werden.

Libyen als "absoluter Notfall"

Die italienische Diplomatie drängt die Uno und die EU schon seit längerem darauf, die Situation in Libyen als "absoluten Notfall" zu betrachten, der den gesamten Westen betreffe und die gleiche Priorität wie die Ukraine verdiene, wie auch Innenminister Angelino Alfano am Montag laut La Repubblica betonte. Alfano warnte auch vor einem neuen Flüchtlingsstrom durch das Vorrücken der IS in Libyen: "Wir riskieren einen beispiellosen Exodus. Die Milizen des 'Kalifats' rücken derzeit schneller vor, als auf internationaler Ebene Entscheidungen gefällt werden."

Laut den Erkenntnissen des italienischen Innenministeriums befinden sich in Libyen derzeit etwa 200.000 Flüchtlinge in fünf Auffanglagern, die auf die Gelegenheit für eine Überfahrt nach Italien - und damit nach Europa - warten. Weitere 400.000 Flüchtlinge könnten aktuell hinzukommen, warnen italienische Geheimdienstquellen, die darauf hinweisen, dass sich in Libyen nach wie vor hunderttausende Gastarbeiter befinden, die noch unter Diktator Muammar al-Gaddafi ins Land gekommen waren. Mit der Zahl der Flüchtlinge steige außerdem die Gefahr der Infiltration der Flüchtlingsströme durch IS-Kämpfer.

2100 Flüchtlinge

Dass am Wochenende erneut über 2100 Flüchtlinge trotz schlechter Wetterbedingungen von den Küsten Libyens losgefahren waren und von der italienischen Küstenwache gerettet werden mussten, wird in Rom als Indiz dafür gewertet, dass die Angst vor der IS unter den Flüchtlingen inzwischen beträchtlich ist. (Dominik Straub aus Rom, DER STANDARD, 17.2.2015)