Die Sache mit dem Kopftuch bleibt ein gordischer Knoten.

Foto: STANDARD/Cremer

Dem praktizierenden Agnostiker fehlt jede Einsicht in die eventuell vorhandene Motivation, sich seine Bekleidung durch eine Religion vorschreiben zu lassen respektive sie anderen vorzuschreiben. Sieht dieser also eine mehr oder weniger verschleierte Frau, so ist die einzige Assoziation "stupiditas numquam moritur" (Dummheit stirbt nie) und die demokratisch staatsbürgerliche Erkenntnis, dass man diese, egal in welchem Bereich, eben nicht verbieten kann. Wobei sich dieses Erlebnis nicht auf verschleierte Frauen beschränkt.

Zwischen String-Tanga und Burka

Vom ästhetischen Standpunkt einmal gänzlich abgesehen, kennen natürlich auch sogenannte westliche aufgeklärte Gesellschaften ein Minimum an Kleiderordnung, welche sich aber größtenteils auf die minimale Verhüllung der primären Geschlechtsmerkmale beschränkt. Dies könnte man selbstverständlich genauso hinterfragen, wie das ein anderer User sinngemäß mit der Frage "Wenn Nudismus meine Religion wäre, würde mir der Staat trotzdem verbieten, wie Gott mich schuf herumzulaufen?" getan hat.

Eine Frage der Erziehungsberechtigung

Es gibt ja keine Führerscheinprüfung für die Empfängnis und – beinahe hätte ich jetzt Gott sei Dank geschrieben – keinen Staat, der die Erziehung im Säuglingsalter zwecks Vermittlung seiner höchsteigenen und in diesem Fall wohl eher totalitären Werte übernimmt. Die Weitergabe so ziemlich aller Lebensregeln liegt also zunächst bei den Eltern, egal welche dies nun sind. Eltern sind also, aus ganz gutem Grund, dazu berechtigt, ihrem Nachwuchs Vorschriften zu machen, und da können durchaus schlimmere Schnitzer passieren als ein Kopftuch. Ein Verbot dieses unseligen Kleidungsteils käme also einer Pauschalentmündigung der Eltern gleich und würde sofort die Frage aufwerfen, welche auch ganz und gar nicht religiös motivierten Erziehungsinhalte man denn sonst noch so verbieten könnte.

Öffentliche Selbstentmündigung

Ein wenig anders sieht es natürlich bei erwachsenen Muslimas aus. Einem mündigen Staatsbürger Kleidungsvorschriften machen zu wollen steht wohl in krassem Gegensatz zu den allgemein anerkannten Menschenrechten, selbst wenn es eine demokratisch legitimierte Regierung so beschließen sollte. Keine Regel ohne Ausnahme: Vernünftigerweise gibt es ein paar technische Gründe, Vollschleier unter gewissen Umständen zu verbieten.

Ein Passfoto in Burka macht wohl kaum Sinn, und auch ein Motorradfahrer muss den Helm beim Bezahlen oder in der Bank abnehmen. Es ist ein wenig wie mit dem Vertrauensgrundsatz in der StVO. Wer solchermaßen gekleidet durch die Lande zieht, veröffentlicht halt, im Gegensatz zu gravierenderen, aber schlichtweg nicht so gut sichtbaren Umständen, dass er seine mündige Entscheidung über seine Kleidung an eine andere Instanz abgegeben hat.

Wo ist Alexander der Große, wenn man ihn braucht

Die Sache mit dem Kopftuch bleibt also ein gordischer Knoten: Verknotet lassen verursacht Bauchweh, und auflösen kann man ihn nicht. Ein Verbot von religiös motivierten Kopftüchern – welches dann übrigens auch den Habit katholischer Nonnen betreffen müsste – käme einem Verbot des Schnäuzens gleich, statt gegen Grippe zu impfen. Und wie, leider, wenig unser Bildungssystem imstande ist, flächendeckend Werte zu vermitteln, mag man zum Beispiel daran ermessen, dass, wiewohl Antifaschismus seit 70 Jahren Grundkonsens ist, es noch immer nicht gelungen ist, das Gespenst der einschlägigen Ideologie gerade auch bei der Jugend auszumerzen. (Thomas Höbelt, derStandard.at, 16.2.2015)