Franz Biberkopf und seine Cilly: Heinrich George und Maria Bard in der Adaption von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" (1931).

Foto: ÖFM

Das Großstadtleben als ebenso rauschhafte wie bedrohliche Erfahrung: Menschenmengen, Körpergewirr, hier in einer Szene aus Karl Grunes Drama "Die Straße" (1925).

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Wien - Ein Blick entlang einer Gefängnisfassade, das Tor wird geöffnet, und ein bulliger Mann mit kleinem Koffer tritt ins Freie. Er nimmt die Straßenbahn von der Peripherie hinein ins brodelnde Zentrum der Stadt. Vom Schauen und Fahren, von all den Eindrücken um ihn herum, wird im ganz schwindelig: "Ick find ma nich' mehr zurechte," sagt der Haftentlassene Franz Biberkopf. Und dann braucht er erst einmal ein Helles. Oder auch zwei.

1929 ist Alfred Döblins monumentaler Roman Berlin Alexanderplatz erschienen. Nur zwei Jahre später kommt die von Regisseur Piel Jutzi mit dem Autor erarbeitete Adaption in die Kinos. Mit Heinrich George als höchst präsentem Biberkopf in einem ungemein freien Film, der klassische Spielszenen immer wieder aufbricht, etwa wenn der tragische Held als Straßenverkäufer agiert und in seinen Auftritt dokumentarische Aufnahmen vom Verkehrs- und Arbeitsgetriebe geschnitten werden. Oder wenn die Kamera auf einzelnen Figuren verweilt, Porträts generiert, die an die fotografischen Studien eines August Sander erinnern.

Historischer Zusammenhang

Das Österreichische Filmmuseum stellt derzeit keine einzelne (Regie-)Position aus, sondern vielmehr einen historischen Zusammenhang: Zum Kino der Weimarer Republik gehören Großproduktionen wie Metropolis (1927) von Fritz Lang genau so wie ein legendäres Stück proletarisches Kino namens Kuhle Wampe (Slatan Dudow, 1932). Walther Ruttmanns experimentelles Werk Berlin, die Sinfonie der Großstadt (1927) ist Teil der Schau - auch hier erreicht man die Stadt von auswärts, per Bahn. Aber auch die Anfänge der Weltstars Greta Garbo (Die freudlose Gasse, 1925) und Marlene Dietrich (Der blaue Engel, 1930) oder die tollen Wirtschaftskrisen-Musicals Ein blonder Traum (1932) mit der quirligen Lillian Harvey und Ich bei Tag und Du bei Nacht (1932).

Visuelles Erzählen

Filmgeschichtlich prägt diese Jahre der technische Wechsel von Stumm- zum Tonfilm, der nicht nur logistische Herausforderungen, sondern auch ästhetische Veränderungen mit sich brachte: Asphalt von Joe May beispielsweise zeigt 1929 noch einmal das visuelle Erzählen in größter Virtuosität. Das Melodram, das von einem Verkehrspolizisten handelt, welcher einer Juwelendiebin erliegt, verweilt lange und in ausschweifenden Kamerabewegungen beim Straßengewimmel (am Studiogelände der Ufa in Babelsberg hat man Boulevards und Kreuzung eigens nachgebaut).

Hans Albers und Paul Hörbiger beklauen unbemerkt eine Dame, mitten in einer Menge, die vor einem Schaufenster die Attraktion eines Mannequins bestaunt, das Strümpfe anlegt. Der Film schwelgt im Gleißen elektrischen Lichts und in spiegelnden Oberflächen - trotzdem wird auch hier das massenhafte Gewoge der Menschen, das Verkehrsgetriebe als bedrohlich vermittelt.

Soziale Unruhe

Schließlich reflektieren die Filme ja auch eine sie umgebende soziale Unruhe: Die Schau fokussiert auf die Erfahrung des Urbanen, der Großstadt als Metropole oder Moloch, wo unterschiedliche Milieus und politische Bewegungen aufeinandertreffen. Das Ende der Weimarer Republik besiegelt die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Fritz Lang emigriert nach Frankreich, Erich Pommer, der auch Asphalt produzierte, in die USA. Andere - wie die Schauspielstars Heinrich George oder Emil Jannings (Der letzte Mann, 1924) - zeigen sich wendig und setzen ihre Karrieren fort.

Bei der Zusammenschau der Filme fällt nicht zuletzt auf, welch breiten Raum darin die Polizisten einnehmen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 17.2.2015)