Am vierten Jahrestag des Ausbruchs der Revolution, die Muammar al-Gaddafi nach 42 Jahren an der Macht stürzte, befindet sich Libyen in einem vielschichtigen Bürgerkrieg; und als ob das nicht reichen würde, stößt nun in das Vakuum der zusammengebrochenen Ordnung der "Islamische Staat" vor. Zum ersten Mal dient das Mittelmeer als Kulisse für die grotesk-brutale Inszenierung von IS-Gräueltaten. Die Ermordung von 21 ägyptischen Kopten hat Ägypten mit Luftschlägen auf libyschem Territorium beantwortet. Die Operation, die in Absprache mit dem libyschen Militär stattfand, hat einen einmaligen Charakter, aber kaum jemand würde es wagen zu prognostizieren, ob es dabei bleibt. Und ein militärisches Engagement Ägyptens in Libyen könnte ein algerisches zur Folge haben.

Auch jenseits des Mittelmeers, in Italien, kann man sich vorstellen, sich an einer neuen Militärintervention in Libyen zu beteiligen. 2011 waren die europäischen Nato-Mitglieder die treibende Kraft für ein Eingreifen - mit Ausnahme des damaligen Sicherheitsratsmitglieds Deutschland, das sich bei Resolution 1973 im März 2011 der Stimme enthielt. Die Befürworter hatten vor allem europäische Sicherheitsaspekte im Sinn: Der von Gaddafi äußerst brutal geführte Krieg gegen die Aufständischen würde eine Flüchtlingswelle auslösen, fürchtete man, außerdem drohte Gaddafi damit, die Grenzen Libyens für Afrikaner aus dem Süden zu öffnen. Vier Jahre später ist aus dem Mittelmeer längst ein Massengrab für Migranten geworden, und der "Islamische Staat" steht laut seinem Sprecher "im Süden Roms".

Es ist nur ein geringer Trost, dass Experten es für ein Zeichen der Schwäche halten, wenn die IS nun in Libyen eine neue Front eröffnet, die die Aufmerksamkeit vom Irak und von Syrien ablenken soll. Dass sich der "Islamische Staat" in Libyen festsetzt, wäre nicht möglich, wenn es nicht das entsprechende Personal und die entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung gäbe - Nordafrika war schon immer eines der Hauptliefergebiete für den internationalen Jihadismus. Und dass die Milizen der IS andererseits auch noch im Irak für neue Offensiven gut sind, haben sie erst vergangene Woche mit der Einnahme der Stadt al-Baghdadi und dem Angriff auf eine Militärbasis, in der sich auch US-Soldaten befanden, gezeigt.

Dass der IS-Sprecher im Video Osama Bin Laden erwähnt - in das Meer, in das seine Leiche versenkt wurde, werde Blut fließen -, kann als Versuch gelesen werden, Jihadisten, die sich bisher Al-Kaida zugehörig fühlen, auf die Seite der IS zu ziehen. In Libyen sind das auch einige der "Operation Morgenröte", die die international nicht anerkannte Regierung in Tripolis stellt, lose zugerechnete radikale Gruppen. Auch wenn eine weitere Fraktionierung der islamistischen Koalition für deren Gegner, die ebenso zersplitterte "Operation Würde" und die rechtmäßige Regierung in Tobruk, gut sein mag: Der vierte Jahrestag der Revolution in Libyen ist vom Schrecken geprägt, welches Potenzial der "Islamische Staat" dort vorfindet. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.2.2015)