Sturtevants dem Original ebenbürtige Wiederholung: "Study for Lichtenstein Bull I and II" (1988).

Foto: Estate Sturtevant, Paris

Wien – Marcel Duchamp, der ewige Schelm, hat der Mona Lisa vor nun beinahe 100 Jahren nicht nur einen Bart verpasst (L.H.O.O.Q., 1919), sondern sich das Lieschen beinahe fünfzig Jahre später ein zweites Mal angeeignet – und zwar ganz ohne irgendeinen Pinselstrich hinzuzufügen: Rasée L.H.O.O.Q. – "rasierte L.H.O.O.Q." – titelte Duchamp frech und machte damit schlichtweg seine Bärtige zur Ursprungsreferenz, also zum Original.

Vollends verrückt gerät das Spiel mit Original und Kopie, mit Referenz und Aneignung als sich Elaine Sturtevant wenige Jahre später daran machte, Duchamps reproduzierte Reproduktion zu kopieren: Zwischen originalen Originalen, kopierten Originalen, originalen Kopien oder kopierten Kopien darf einem da getrost schwindlig werden.

So könnte man sich den Auftakt zu einer Sturtevant-Ausstellung auch vorstellen: mit dem Gespann im Geiste, Duchamp, dem radikalen Erneuerer der Kunst, und Sturtevant, die man durchaus als legitime Nachfolgerin des Vaters des Readymades bezeichnen darf. Sie vollzog den nächsten Twist seiner Idee: Aus dem in die Kunst überführten Alltagsobjekt wird das Kunstwerk nach dem Kunstwerk nach dem Kunstwerk. Sturtevants in den 1960er-Jahren begonnene Wiederholungen von heutigen Ikonen der Pop-Art, von Andy Warhols Blumen oder Jasper Johns Flaggen, machen die Kunstwerke selbst zum Readymade.

Jedoch, so schön die Idee der ebenbürtigen Duettpartner auch wäre: Sturtevants Duchamp hängt aktuell im Museum of Modern Art in New York (allerdings die Reproduktion der Zwirbelbartversion): Sturtevant: Double Trouble titelt die große Retrospektive, die das Werk der im Vorjahr verstorbenen Künstlerin mit mehr als 50 Gemälden und Objekten noch bis 22. 2. in großer Vielfalt vorstellt.

In Wien, wo der Künstlerin – mit Ausnahme von kleineren Galeriensolos - noch keine große Personale gewidmet war, entschied man sich dafür, Sturtevants Einstand mit 100 Blättern ihres zeichnerischen Oeuvres zu begehen: die ungleich farblosere Lösung.

Aura des Authentischen

Für dieses strategische Ungeschick gibt es aber eine logische Erklärung: Schließlich hat man die Schau vom Museum moderner Kunst Frankfurt übernommen, und dort hatte Kurator Mario Kramer bereits 2004 mit dem Werk der "radikalen" Künstlerin das komplette Haus bespielt. Er nutzte Sturtevants "seelenverwandte Doppelgänger" (Zitat Udo Kittelmann, Direktor Nationalgalerie Berlin), um mit ihnen ganze Kapitel der Kunstgeschichte nachzuerzählen. Sturtevant, die von "the beauty of repetition" sprach, hatte erkannt, dass es in der amerikanischen Pop-Art um das Reproduzieren der Massenmedien gegangen ist: eh voilà.

Sturtevant, die ihren Vornamen wegließ, um in der Welt der männlichen Künstlergenies geschlechtsneutral aufzutreten, insistierte im Übrigen auf dem Begriff des Originals. Ihre Arbeiten waren keine Kopien; sie wies im Titel den Namen des Urhebers aus und signierte auf der Rückseite mit Sturtevant. "Man müsste im Kopf zurückgeblieben sein, um den Tod der Originalität zu fordern", sagte die Ahnin der Appropriation Art einmal.

Was macht ein Kunstwerk zur Kunst? Ist Warhols Idee nur dann gut, wenn er sie selbst ausgeführt hat? Was bleibt vom Bild, wenn man die Aura des "Authentischen" wegnimmt? So lauten ihre Fragen an den in seinen Erwartungen enttäuschten Betrachter und den Kunstbetrieb, die sich auch ihre Kollegen gerne gefallen ließen. Warhol kooperierte und stellte die Drucksiebe zur Verfügung, Lichtenstein gab Tipps, Stella ließ sich beim Malen über die Schulter schauen.

Die (mit wenigen Gemälden gespickte) Wiener Schau kann das alles nur ungenügend vermitteln. Es ist ein bisschen wie ein Studienseminar, nur ohne Seminar. Ein bisschen leblos. Schwindlig wird dem Betrachter in den Sälen allenfalls wegen des grellroten Bands, auf dem ihre Zeichnungen platziert sind und auf dem die weißen Buchstaben der Saaltexte zu tanzen beginnen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 17.2.2015)