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In der Apple Watch steckt mehr Jony Ive als in jedem bisherigen Produkt des Konzerns.

Foto: Reuters

Weil sie nicht gerade billig sind und den Nutzer mitunter in einen goldenen Käfig sperren, sind Produkte von Apple umstritten. Ihrem Erfolg hat das bislang keinen Abbruch getan, obwohl Apple dabei nur selten Pionierarbeit geleistet hat. Weder baute der Konzern den ersten MP3-Player, das erste Smartphone oder das erste Tablet, trotzdem erschlossen iPod, iPhone und iPad erst den Massenmarkt für ihre Produktkategorien.

Ein wesentlicher Grund dafür ist ihr Design. Bei Apple versteht man es, von seltenen Fehlschlägen abgesehen, ästhetische Hardware mit einfach bedienbarer Software zu verbinden. In beiden Bereichen übernimmt heute Urgestein Jony Ive viel Verantwortung. Er ist seit 1992 bei Apple.

Unbekannte Namen, bekannter Chef

Apple pflegt ein eigenes, internes Designstudio, dessen Kernteam aus 19 Industrial Designern besteht. Geläufig ist den meisten Menschen aber nur Studioleiter Ive, die Namen aller anderen finden sich oft vergraben in Patentanmeldungen und schriftlichen Erklärungen. Der gebürtige Brite, der vor einigen Jahren von der Queen den Ritterschlag erhalten hat, war lange Jahre ein enger Freund von Steve Jobs und wurde vom einstigen CEO und Firmenmitgründer zur "Seele" des Konzerns gemacht, wie der New Yorker in einer ausführlichen Reportage schreibt.

Enge Freunde

Dabei war Ive Mitte der 1990er-Jahre kurz davor, das Unternehmen zu verlassen, offenbart sein Vater Michael. Interne Streitigkeiten prägten das Unternehmen während jener Zeit. Apple war finanziell angeschlagen und Ive befasste sich damit, Druckerklappen zu gestalten. Mit der Übernahme von Jobs Firma NeXT durch Apple und die damit verbundene Rückkehr und den Wiederaufstieg von Jobs zum CEO änderte sich das.

Der Designer und der Rückkehrer wurden im Zuge ihrer Laufbahn zu engen Freunden. Ive und seinem Designteam verhalf das graduell zu immer mehr Einfluss. Die Gestaltung von Produkten steht mittlerweile im Zentrum der Firmenkultur. Heute, denkt Robert Brunner, der Ive vor 23 Jahren eingestellt hatte und sein Vorgänger war, hat er die Rolle der "kreativen Seele des Unternehmens" inne.

"Hätte ich einen spirituellen Partner bei Apple, wäre es Jony", erklärte Steve Jobs kurz vor seinem Tod gegenüber seinem Biographen Walter Isaacson. Denn Ive hätte stets das "große Ganze" und die winzigen Details im Blick und würde verstehen, dass Apple eine "Produktfirma" sei. Deswegen habe er auch enorm viel Einfluss, weil er mehr als nur ein Designer sei.

iPod-Verpackungskünstler

1998 war der der erste iMac das erste Produkt des neuen Tandems, wenngleich Jobs die Lorbeeren praktisch allein einheimste. Ives Einfluss wurde erst langsam erkennbar. 2001 erklärte der heute Vizepräsident des Konzerns gegenüber seinem Vater, dass ein kommender Musikplayer von Apple "tausend Lieder" speichern können werden. "Wer braucht tausend Lieder?", antwortete Michael Ive. "Du wirst schon sehen", erwiderte sein Sohn.

Dabei waren seine Freiheiten bei der Umsetzung zu dieser Zeit noch begrenzt. Ive hatte im Wesentlichen die Aufgabe erhalten, die von den Ingenieuren gewünschten Komponenten in eine ansprechende Form zu bringen. Es galt, Akku, Festplatte, das LC-Display und das Steuerrad so elegant wie möglich zu vereinen Eine Aufgabe, die er gemeinsam mit Tony Fadell meisterte, der später mit einem eigenen Unternehmen den smarten Thermostaten Nest erfinden sollte und mittlerweile auch bei Google dafür zuständig ist, dem Glass-Projekt eine zweite Chance zu erarbeiten.

Das Äußere des iPods inspirierte Generationen anderer Produkte und wies, wie später auch das iPhone, die Apple-typische Gestaltungssprache mit abgerundeten Ecken auf. Darauf angesprochen, schwärmt Ive von "primitiver" Geometrie, die vor dem Computerzeitalter eigentlich üblich war. Zwei gerade Linien, verbunden über das Fragment eines Kreises. Ebenso spricht er fasziniert von den Möglichkeiten, noch elegantere Wege zu gehen, dank der Möglichkeiten und Materialien, die heute existieren.

Ive wollte zuerst ein Tablet bauen

2004 hatte es das Designstudio schließlich zu interner Eigenständigkeit gebracht. Aufmerksame Besucher konnten dort einen rudimentären, übergroßen und touchempfindlichen Bildschirm vorfinden, bei dem die Erfassung der Finger noch mit Projektoren umgesetzt war, da Apple noch nicht über die Technologie für kapazitive Multitouchdisplays verfügte. Ive war mittlerweile in die "fundamentale Entwicklung" einbezogen und befasste sich auch damit, wie man ein solches Gerät effizient bauen und ausreichende Kühlung sicherstellen könnte.

Er wollte ursprünglich gleich ein Tablet bauen, ließ sich aber letztlich von Jobs überzeugen, den Kunden nicht gleich eine fast unbekannte Produktkategorie vorzusetzen, sondern mit einem Mobiltelefon zu beginnen. 2007 erschien schließlich das iPhone, das Ive endgültig zu einer zentralen Figur bei Apple machte.

Design-Oase

Seitdem hat der Konzern Abermillionen an Geräten verkauft. Nachfrage und Hype sind nach wie vor riesig. Doch das abgekapselt werkende Designteam lässt sich davon wenig beeindrucken, die Mitarbeiter zögern gar, sich die Anerkennung einzugestehen. Das liegt auch an der Gestaltung und Funktionsweise des Designlabors. "Es ist nicht gerade so, als würde das Gewicht der Welt auf unseren Schultern lassen", zitiert das New Yorker Magazine etwa den Briten Richard Howarth. Alles sei hier "etwas freier, als man vielleicht denkt".

"Der meiste Druck kommt von uns selber", ergänzt ihn Evans Hankey. Oft, schildert sie, setze man aktuelle Produkte neben das Modell eines mögöichen Nachfolgers, nur um festzustellen, dass das Gerät, an dem man sich ein paar Jahre erfreut hat, mittlerweile "alt und irgendwie langweilig" aussieht, während der neue Entwurf im Vergleich verblüffe. Die Uhren in Apples Designabteilung ticken freilich etwas schneller, tritt der Moment dieser Erkenntnis doch oft ein, während das als überholt empfundene Produkt gerade erst auf den Markt kommt.

"Ive-Watch"

Mit der Apple Watch wagt sich der Techriese aus Cupertino bald auf den Wearable-Markt vor. Gefragt, ob die Apple Watch noch mehr ein Ive-Produkt sei, als Apples bisherige Kreationen, erwidert der Vizepräsident des Konzerns, Jeff Williams, nach einer kurzen Pause: "Ja".

Die Idee zur Umsetzung einer Smartwatch soll kurz vor Jobs Tod abgesegnet worden sein. Früh entschied man sich für einen modularen Aufbau aus einem Uhrkörper und austauschbaren Bändern. Nach sechs Wochen hatte man ein erstes Modell gebaut.

Sinnlose Rundungen

An der grundsätzlichen Form der Uhr, ein Gehäuse mit abgerundeten Ecken und ein ebenfalls rechteckiges Display, hat in den Jahren dazwischen kaum etwas geändert. Auch in Anbetracht von Geräten mit rundem Display, wie etwa der Motorola Moto 360, hielt Ive an diesem Layout fest. "Wenn ein Großteil der Funktion aus Listen – Namen oder Termine – besteht", argumentierte er seine Entscheidung, "dann ergibt ein Kreis keinerlei Sinn.

Er erdachte auch die Implementation der "Digital Crown", die in Form eines mechanischen Drehrads dem Nutzer umständliche Zweifinger-Gesten zum Zoomen auf dem kleinen Touchdisplay ersparen soll.

Paradigmenwechsel

Seit 2012 ist Ive auch für die Oberfläche von Apples Betriebssysteme zuständig und begann seine Tätigkeit mit einer Änderung des Design-Paradigmas. Er kehrte vom bis dahin gepflegten Skeumorphismus, der Nachahmung realer Materialien, ab und verpasste iOS und OS X ein flaches, simplistisches Aussehen.

Der alte Stil, meint Ive, gefiel nicht nur Steve Jobs, sondern war auch aus anderen Gründen angemessen. Denn man sei vor dem Launch des iPhones "sehr nervös" gewesen und habe sich Sorgen gemacht, wie den Leuten der Umstieg von Tasten mit spürbarem und hörbarem Feedback auf eine Touchoberfläche gelingen werde. Daher sollte die Oberfläche den gewohnten Anblick analoger Hilfsmittel und natürlicher Materialien widerspiegeln.

Auch die Ecken der App-Icons mussten auf Ives Geheiß abgerundet werden. "Sie haben mich wahnsinnig gemacht", erinnert sich der Designer. "Ich konnte nur noch diese unvollständigen Tangentenbrüche sehen." (gpi, derStandard.at, 17.02.2015)