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Was die einen wegwerfen, kann für die anderen nützlich sein: ein Mann auf der Suche nach Wiederverwertbarem auf einer Mülldeponie in Depok bei Jakarta. Wohin unser Müll transportiert wird, ist kaum bekannt. Gewiss ist hingegen, dass Müll ein enormer Wirtschaftsfaktor ist und eine mächtige Lobby die globalen Wege des Abfalls kontrolliert.

Foto: AP/Tatan Syuflana

Boston - Nestor wandert über eine Müllhalde in Mexiko-Stadt. Er sammelt ein, was ihm nutzbar und wertvoll erscheint: Flaschen, Dosen, durchgetretene Gummisohlen. Manches davon wird er selbst gebrauchen, anderes wird er am Ende des Tages für wenige Centavos weiterverkaufen. Nestor ist einer der Protagonisten in Michael Glawoggers Dokumentarfilm Megacities. Sein Job ist der Beweis dafür, dass die Mülltrennung nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte. Und zwar nicht nur in Mexiko, sondern weltweit.

1,5 Kilogramm Müll pro Tag

520 Kilogramm Müll produziert ein durchschnittlicher Mensch laut dem Statistikportal Statista pro Jahr, das sind fast 1,5 Kilogramm pro Tag. Der meiste Müll fällt in den Industrieländern in Europa und Nordamerika an. Spitzenreiter sind - wenig überraschend - die USA mit 760 Kilogramm pro Kopf und Jahr, dicht gefolgt von Dänemark mit 718 und der Schweiz mit 709. Österreich liegt mit 552 Kilogramm (Stand 2011) im oberen Mittelfeld.

Nur ein kleiner Teil des Industrie- und Haushaltsmülls jedoch landet auf der nächsten Deponie, wo er gelagert, recycelt oder "thermisch verwertet" - wie es im Fachjargon heißt -, also verbrannt wird.

Bisweilen wird der Mist hunderte, wenn nicht tausende Kilometer über den Erdball gekarrt. Ein Großteil des Elektroschrotts wie Handys, Platinen und Computerchips wird nach Afrika verfrachtet. Die meisten Fernseher und Bildschirmröhren wiederum landen früher oder später in Asien, wo sich die meisten der weltweit nur rund 30 konzessionierten Kathodenstrahlröhren-Recycling-Deponien befinden. Eine mächtige Müll-Lobby steuert das Geschehen.

"Das Geschäft mit dem Müll ist ein sehr lukratives", sagt Dietmar Offenhuber. "Und doch wissen wir über diesen Teil unseres Lebens, obwohl wir sonst schon alles Mögliche wie in George Orwells 1984 überwachen und kontrollieren, verhältnismäßig wenig." Der Österreicher ist Dozent an der Northeastern University in Boston und veröffentlichte unlängst seine Dissertation über eine Forschungsarbeit, die er gemeinsam mit dem Senseable City Lab am Massachusetts Institute of Technology durchführte.

Bei "Trash/Track", so der Titel der Arbeit, wurden die Fährten des Weggeworfenen erforscht. "Wir wollten wissen, welchen Weg der Müll geht und wo die Reise des recycelbaren Joghurtbechers endet."

In Zusammenarbeit mit der Stadt Seattle im US-Bundesstaat Washington statteten er und sein Team rund 2500 weggeworfene Objekte, die üblicherweise im Haushaltsmüll vorkommen, mit Ortungssystemen und GPS-Sendern aus. Die Chips wurden, damit sie resistent gegen Feuchtigkeit und mechanische Einwirkungen sind, mit Epoxid eingeschäumt und untrennbar mit dem Stück Müll verbunden. Die Software wurde so programmiert, dass sie sich alle vier Stunden für wenige Sekunden einschaltet und ein Signal sendet. Sechs Monate lang konnte der Müll auf diese Weise getrackt werden. Danach war die Batterie tot. "Natürlich ging ein Teil der Sender früher oder später kaputt, oder wir haben einfach das Signal verloren", sagt Offenhuber. "Aber immerhin haben wir rund 1500 wertvolle Routen-Informationen erhalten, die uns Aufschluss darüber geben, was mit dem Müll passiert."

Kein Land ohne Korruption

So viel vorweg: Korruption und Bestechlichkeit sind in jedem Teil der Erde daheim. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass eine gar nicht so kleine Anzahl an Müllpartikeln wie etwa Kunststoff, Glas oder Aluminium illegalerweise auf einer Bauschutthalde in der Nähe von Seattle endete.

Der Großteil der gechipten Müllteile jedoch ging erfreuliche, legale Recycling-Wege per Bahn, Truck und Schiff. Offenhuber: "Der Müll wurde bis nach Midwest, Texas und Florida transportiert, was uns viel Auskunft darüber gibt, wo sich welche konzessionierten Recyclingbetriebe befinden." In Wisconsin, Minnesota, Illinois und Iowa westlich der Großen Seen beispielsweise wurde das getrackte Altmetall verwertet und wieder in den Kreislauf zurückgebracht. Altglas zog es gen Süden, Elektroschrott tendenziell nach Miami. Eine weitere Verschiffung der ehemaligen Handys, Radios und CD-Player nach Afrika ist nicht ausgeschlossen, schließlich werden laut Report 70 des Instituts für Entwicklung und Frieden mehr als 80 Prozent des US-Elektroschrotts exportiert.

"Ja, eine Afrikareise des Mülls ist durchaus möglich, aber leider sind das nur Spekulationen", sagt Offenhuber. "Der Übersee-Export von Müll ist generell nur schlecht und lückenhaft dokumentiert. Das liegt vor allem daran, dass es für Müll im internationalen Handel keine einheitlichen Kategorien gibt. Die Zolldeklarationen haben kaum Aussagewert."

Hinzu kommt, dass das "Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung", besser bekannt als Basel Convention 1989, von den USA bis heute nicht ratifiziert wurde. Ein umweltgerechtes Abfallmanagement mit kurzen Wegen zwischen dem Ort des Müllaufkommens und jenem der Müllverwertung ist der Industrienation ein Dorn im Auge.

Müll, so das Argument der Lobby, sei ein handelbares Gut wie jedes andere. Basel Action Network mit Sitz in Seattle bemüht sich, die Schmuggelrouten ans Tageslicht zu bringen.

Umso gewinnbringender ist die Erkenntnis der Studie Trash/Track, dass Papier und Kunststoffe aus dem Nordwesten der USA zum überwiegenden Teil über den Pazifik geschippert werden. Final Destination: Volksrepublik China. "Die Schiffe bringen Handelswaren aus China in die USA", sagt Offenhuber. "Damit sie nicht leer wieder zurückfahren, werden sie mit Müll beladen, was insofern sinnvoll ist, als China dringenden Bedarf nach Verpackungsmaterialien hat. Papier und Kunststoff eignen sich dazu perfekt."

Was sind die langfristigen Erkenntnisse aus Trash/Track? Dass Müll ein enormer Wirtschaftsfaktor ist, darin sind sich die Forscher einig, wisse man bereits seit geraumer Zeit. Die Studie habe dieses Wissen fundamental verfestigt. "Die Arbeit hat bewiesen, dass Recycling in einigen Fällen nicht nur sinnlos, sondern auch ökologisch negativ bilanzierend ist", sagt Offenhuber. "Wenn der Müll per Lkw quer durch die USA gefahren wird, dann verursacht der Verkehr mitunter mehr Schaden, als das Rezyklieren Nutzen bringt. In diesen Fällen sollte man sich nach Alternativen umsehen."

Neue Ansätze

Für die Zukunft könnte man aus Trash/Track lernen, in welchen Fällen man die Mülltrennung an professionelle Unternehmen auslagern könne und in welchen Fällen die Trennung besser in der Verantwortung des Konsumenten bleiben solle, sagt Offenhuber. "Mülltrennung ist in manchen Teilen der USA noch ein Fremdwort. In großen Städten wie etwa New York City fand bis vor kurzem überhaupt keine Trennung statt." Letztendlich könne man dank der Studienergebnisse auch die Müllentsorgung effizienter gestalten.

In einigen Kommunen gebe es bereits erste Ansätze, Mülltonnen mit Sensoren auszustatten, berichtet Offenhuber. "Diese werden dann nicht mehr tagtäglich angefahren, auch wenn sie leer sein sollten, sondern nur noch nach Bedarf." Dadurch kann die Entsorgung kostensparend und umweltfreundlich organisiert werden. Offenhuber: "Das wäre für mich eine wünschenswerte Anwendung aus unserer Arbeit." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 18.2.2015)