Johnny Erling aus Peking

Seit langem sind westliche Internetseiten in China nicht oder nur schwer zugänglich. Ausländer behalfen sich mit technischen Tricks. Doch nun funktioniert auch das nicht mehr. Für viele Firmen ein Problem. China isoliert sich mit seiner verschärften inländischen Internetzensur, die es etwa ohne Hilfe von Proxyservern inzwischen unmöglich macht, den von Peking auf den Index gesetzten Suchdienst Google oder Googlemail zu empfangen, immer mehr von der Welt.

Zu dieser scharfen Verurteilung der seit Anfang 2015 noch weiter ausgefeilten Onlinesperren und Firewalls, die nun selbst VPN-Systeme und Proxyserver attackieren, gelangen nicht etwa chinesische Bürgerrechtler oder internationale Menschenrechtsorganisationen. Sie kommt von einer sich mit Kritik an den Staatsorganen üblicherweise zurückhaltenden Klientel: von der ausländischen Wirtschaft, Investoren und europäischen Geschäftsleuten in China.

86 Prozent der von der Pekinger EU-Wirtschaftskammer befragten Mitglieder meldeten jetzt "negative Auswirkungen" auf ihre Geschäfte, 15 Prozent mehr als bei einer ähnlichen Umfrage im Juni 2014. Damals ermittelte die EU-Kammer unter ihren 1800 Mitgliedern wachsende Verärgerung über die Zensur und vor allem über das sich verlangsamende Internet.

Schneckentempo

Bei Nutzern in China dauerte es fünfmal länger als etwa in Südkorea, Ergebnisse online zu erhalten. Zensur und Tempo haben sich seit Anfang 2015 noch verschlimmert. Dies stellte die unter 180 Rückantworten ausgewertete Umfrage fest, die zwischen Mitte und Ende Jänner erhoben wurde. 80 Prozent nannten eine Verschlechterung des Geschäftsklimas eine Folge der Zensur. 13 Prozent hätten erstmals angegeben, ihre Investitionen in R&D-Projekte zur Forschung und Entwicklung zurückgestellt zu haben oder sie nicht mehr tätigen zu wollen.

Wegen Internetblockaden ließen sich auch internationale Forschungs- und Finanzseiten nicht mehr normal aufrufen. Kammerpräsident Jörg Wuttke nannte das Ergebnis der Umfrage einen "besorgniserregenden Trend". Peking schade der ausländischen und der inländischen Wirtschaft, wenn es den Zugriff auf ausländische Netzwerke immer schwieriger mache.

Chinas Internet gerate so in die Gefahr, zum "Intranet" zu werden. Es gehe nicht nur um die individuell "unbequeme" und mühsame Nutzung des Internets, sondern auch um höhere Standortkosten für die Wirtschaft. Indirekt würde sich der erschwerte Zugang wie eine "Internetsteuer" auswirken. Die Kammer sehe nicht nur Nachteile für Ausländer, schrieb Wuttke: "Wir wissen aus Gesprächen mit der chinesischen Öffentlichkeit und dem privaten Sektor, dass viele einheimische Firmen darüber genauso frustriert wie unsere Mitglieder sind."

Geschäftsbeeinträchtigung

Seit 2014 werden aus der Wirtschaft, darunter auch in Umfragen der deutschen Kammer in Peking, die Klagen über den verlangsamten Zugang und das Ausmaß der gesperrten Seiten lauter. In einer vor kurzem von der US-Kammer in Peking veröffentlichten Umfrage über das Geschäftsklima 2015 gaben mehr als 80 Prozent der 477 befragten Mitglieder an, dass sie ihre Geschäfte durch die Internetzensur "signifikant beeinträchtigt" sehen.

Der niedliche Anblick täuscht: Chinas Internetzensoren lesen nicht nur mit, sondern drosseln auch die Verbindungsgeschwindigkeiten. (Johnny Erling, Der Standard, 17.02.2015)