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Dieses Bild zeigt charakteristische Strukturen im Zellbild von sogenannter akuter myeloischer Leukämie - eine seltene, aber hochaggressive Form des Blutkrebses.

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Florian Grebien hat einen ERC Starting Grant erhalten.

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Wien - Die akute myeloische Leukämie, kurz AML, ist selten. Vier von 100.000 Menschen erkranken jährlich an dieser Form von Blutkrebs. Für jene, die davon betroffen sind, ist die Diagnose jedoch oft niederschmetternd: AML ist aggressiv und in der Altersgruppe ab 60 Jahren die häufigste unter den bekannten akuten Leukämien. "Das Krankheitsbild ist vielfältig: Es gibt viele Subtypen mit guten wie auch schlechten Prognosen. Kommt AML bei Säuglingen und Kindern vor, sind die Krankheitsverläufe häufig sehr schlecht", sagt Florian Grebien.

Der Genetiker hat sich auf Blutkrebserkrankungen spezialisiert. Jahrelang forschte er bereits über chronische myeloische Leukämie (CML) - die heute relativ gut heilbare Schwester von AML.

Unbekannte Mechanismen

Am Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung will Grebien sich nun der aggressiveren Form des Blutkrebses widmen. Die in der AML vorkommenden Mutationen im Erbgut sind zwar weitgehend bekannt. Große Wissenslücken gibt es bei den molekularen Mechanismen, die der Krankheit zugrunde liegen. Ihre Schließung fördert der Europäische Forschungsrat ERC nun mit einem rund 1,5 Millionen Euro dotierten Starting Grant. Grebien ist der erste Forscher des Ludwig-Boltzmann-Instituts, der diese EU-Förderung erhalten hat.

Vereinfacht gesprochen geht es bei AML um eine fehlgesteuerte Blutentwicklung. Die Krankheit nimmt im Knochenmark des Menschen ihren Ausgang. Hier, in der Produktionsstätte des Blutes, entarten gewisse Blutstammzellen durch Mutationen. Fehlentwicklungen im Erbgut beeinflussen im weiteren Verlauf die Entwicklung der weißen oder roten Blutzellen - oder auch der Blutplättchen, je nach Art der AML. Der häufigste Fall: krebsauslösende Mutationen in den Vorläuferzellen der weißen Blutzellen.

"Wir arbeiten an sehr speziellen Mutationen", sagt der 37-jährige gebürtige Grazer. Diese sind auf ein Zerbrechen einzelner Chromosomen in einer Zelle zurückzuführen. Die Bruchstücke wachsen zwar wieder an. "Die Brüche werden aber falsch repariert", sagt Grebien. Ganz so, als "wenn wir uns ein Bein und einen Arm abschneiden und das Bein am Arm angefügt wird und umgekehrt".

An den falsch reparierten Fusionsstellen können als Genprodukte Proteine entstehen, die auf die Bruchstücke zweier verschiedener Chromosomen zurückgehen. Die Molekularbiologen sprechen von "Fusionsproteinen". Die fehlerhafte Reparatur der Chromosomenbrüche nennen sie "Translokationen" . Beide Phänomene sind für die Forscher eher Neuland. Ein spannendes, denn hier könnten wohl die Ursachen für die vielfältigen Krankheitsbilder der AML zu finden sein.

Aus Grebiens früherer Forschung und anderen Arbeiten weiß man: Die chronische myeloische Leukämie ist im Vergleich zur akuten relativ einfach gestrickt. Hier reicht eine Translokation aus, damit die Krankheit ausbricht. Das Ausmaß von Translokationen in der AML kennt man hingegen erst seit kurzem: Bis heute haben Forscher über 200 immer wiederkehrende, mit AML in Verbindung gebrachte Translokationen kartiert.

"Eine andere Studie hat bei AML-Patienten untersucht, wie viele Fusionsproteine an den Fusionsstellen entstanden sind. Von 179 Patienten hatten 80 Patienten 71 verschiedene Fusionsproteine entwickelt." Diese Arbeiten bestärken den jungen Forscher in seinem Ansatz: Die Listen an entdeckten Fusionsproteinen werden immer länger, über ihre Wirkmechanismen ist hingegen wenig bekannt. Sie gilt es genauer zu untersuchen.

Erfolgsgeschichte der Medizin

"Die chronische myeloische Leukämie ist ein Vorzeigebeispiel: Man wusste sehr bald, welche Mutation ihr zugrunde liegt, und man weiß heute, dass diese Mutation in über 95 Prozent der Fälle wirklich vorliegt. Es gibt bereits ein sehr wirksames Medikament gegen CML auf dem Markt - das war eine Erfolgsgeschichte der molekularen Medizin", sagt Grebien. An diesen Erfolg anzuknüpfen ist mit der AML nicht leicht. Ihre Translokationen sind äußerst vielfältig. Verschiedene Mutationen führen zu verschiedenen Subtypen. Präzise abgestimmte Therapieansätze gibt es zurzeit wenig.

Derzeit verhandelt Grebien mit dem Europäischen Forschungsrat einen Vertrag für die Förderung seiner Forschung - ein übliches Prozedere. Erfolgreich war die Einreichung nach Ansicht des Verfassers wohl vor allem aufgrund des anvisierten methodischen Herangehens: Denn sein Projektantrag beschreibt einen Weg, wie man der vorherrschenden Datenflut in der molekularen Medizin begegnen könnte. "Es ist vergleichsweise einfach, von 1000 Patienten Blut zu nehmen und das Genom komplett zu sequenzieren. Man kann damit schnell Kataloge publizieren, die gewisse Mutationen mit gewissen Krankheiten in Verbindung bringen", sagt Grebien: "Der springende Punkt ist aber: Mit dieser Datenflut kann die biologische Validierung - also das Verstehen der molekularbiologischen Mechanismen - schon länger nicht mehr Schritt halten."

Grebien hat eine "Entdeckungspipeline" entwickelt: einen Versuchsablauf, der von der Datenflut zu gezielten Aussagen über die Funktionsweise von einzelnen mit der AML assoziierten Mutationen führen soll. Grundlegend neue Technologien hat er dabei keine erfunden. Er bedient sich vielmehr aus dem Kanon molekularbiologischer Methoden und reiht diese systematisch aneinander. Aus den bestehenden Datensätzen filtern die Forscher zunächst die interessanten Mutationen heraus. "In einem ersten Schritt beschreiben wir mithilfe der RNA-Sequenzierung, wie die mutierten Gene und Proteine eine Zelle umprogrammieren können." In einem zweiten Schritt versuchen die Forscher mithilfe der Massenspektrometrie herauszufinden, mit welchen anderen Proteinen die mutierten Proteine interagieren.

Neue Therapieansätze

Am Ende der zwei Experimente gibt es eine Liste mit potenziellen Kandidaten, die dann auf ihre Funktionalität überprüft werden. Anders formuliert: In einer Leukämiezelle wird untersucht, was passiert, wenn bestimmte Zielgene fehlen oder bestimmte Protein-Protein-Interaktionen ausbleiben. Am Ende dieser Versuchspipeline sollen jene Faktoren stehen, die für die Leukämie-Entstehung durch Fusionsproteine am wichtigsten sind. "Diese wollen wir dann genauer erforschen, etwa in Zellen von Patienten", sagt Grebien. So wollen die Forscher auch Ansätze für Therapien finden. (Lena Yadlapalli, DER STANDARD, 18.2.2015)