Wer erstmals nach Goa kommt, mit erfahrenen Reisenden spricht und sich ein wenig umhört, der wünscht sich bald eine Zeitmaschine. Wäre er doch noch vor 20 Jahren hier gewesen, heißt es. Damals waren die Strände noch nicht so überfüllt, Badeorte nicht voller seelenloser Großhotels für Chartertouristen und Appartementhäuser von wohlhabenden Familien aus Delhi, die sich hier eine Altersresidenz suchen, die Preise noch nicht von russischen Gästen verdorben, die Hippie-Szene in Anjuna noch echt und nicht nur für den wöchentlichen Flohmarkt inszeniert und die Straßen in den Städten noch nicht von Autos verstopft. Wer das legendäre Goa von früher sucht, der sollte eher nach Kerala weiterreisen.

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Die Kirche der Heiligen Jungfrau im Herzen von Panaji besticht durch ihre blütenweiße Fassade.

An den zentralen Stränden der einstigen portugiesischen Kolonie mag das ja stimmen. Aber ganz im Norden und vor allem im Süden gibt es noch Ortschaften und Strände, in denen man jenes Goa spürt, von dem einem die Alteingesessenen so gerne erzählen, das weder Hektik noch Sorgen kennt und für indische Verhältnisse auch wenig Lärm.

Palolem ist der größte und bekannteste dieser Orte, aber entspannter und schöner ist das 15 Minuten entfernte Agonda, eine rund zwei Kilometer lange Bucht mit weißem Sand, Palmen und dutzenden kleinen Hotelanlagen mit Strohhütten, kleinen Restaurants und mehr oder weniger Komfort. Selbst in der Hochsaison zu Weihnachten wirkte der Strand meist fast leer.

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Der Strand von Agonda ist nahezu leer.

In Reiseführern ist von Meeresströmungen die Rede, die das Schwimmen angeblich gefährlich machen. Zu merken ist davon zwar nichts, aber der Ruf allein hilft, die Besuchermassen fernzuhalten. Wer will, kann sich eine Woche lang nur zwischen Hütte und Strand bewegen, ohne je etwas zu vermissen.

Die Preise sind selbst für indische Verhältnisse niedrig

Die meisten Urlauber mieten um ein paar Euro am Tag ein Moped, mit dem sie über die Hügel im Hinterland düsen - anders als sonst im Land ist der Verkehr hier nicht lebensgefährlich -, Abstecher nach Palolem oder zum entlegenen Cola-Strand machen, am späten Abend die beliebte Freiluftdisco Leopard Valley in den Hügeln frequentieren oder einfach nur die Straße hinterm Strand befahren, wo kleine Läden und Lokale alle ähnliche Dinge anbieten. Die Preise zum Schlafen und Essen sind selbst für indische Verhältnisse niedrig. Da macht es wenig aus, wenn das Bargeld knapp wird - dem einzigen Bankomaten im Ort gehen meist schon zu Mittag die Scheine aus.

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Mit kleinen Booten kann man nicht weit vom Strand Delfine beobachten; Ausflüge in ein nahe gelegenes Naturreservat oder in einen Elefantenpark sind vor allem für Familien interessant. Zahlreiche Plätze bieten Massagen, einige auch Yogastunden.

Sonnen, schwimmen, lesen

Ein deutscher Agonda-Veteran hat indische Ein-Gang-Räder zum Vermieten parat, bei denen man bei den Steigungen außerhalb des Ortes bald absteigen muss. Sonst ist in Agonda - außer sich zu sonnen, zu schwimmen, zu lesen, am Strand zu spazieren, tagzuträumen und um sechs Uhr abends der Sonne über dem Meer beim Untergehen zuzuschauen - eigentlich nicht viel zu tun. Aber gerade deshalb kommt man hierher.

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Einige Anlagen wie Agonda White Sands oder Cottages bieten einen hohen Komfort, aber auch die einfachen Hütten sind sauber und modern. Das liegt daran, dass viele von ihnen jedes Jahr nach den Monsunstürmen neu aufgebaut werden müssen. Zu dieser Zeit wird Agonda zum Geisterdorf und erwacht erst wieder im Spätherbst zu neuem Leben.

Klein-Lissabon

Eineinhalb Stunden dauert die Autofahrt vom Flughafen nach Süden, und rund zwei Stunden ist der Weg nach Panjim (Panaji), in die Hauptstadt Goas. Er zahlt sich jedenfalls aus. In den engen Gassen der Altstadt ist das koloniale Erbe noch lebendig. 450 Jahre lang war Goa portugiesisch, erst 1962 machte der indische Staat mit der Fremdherrschaft Schluss.

Portugiesisch spricht fast niemand mehr, aber die katholische Religion ist allgegenwärtig - und nicht nur in den großen Kathedralen von "Old Goa", der einst so grandiosen alten Hauptstadt, die dann aber wegen Malaria und Cholera verlassen wurde. In Panjim selbst sind die Sehenswürdigkeiten wie die Kirche der heiligen Jungfrau, das Sekretariatsgebäude oder das Staatsmuseum nicht das Wichtigste, sondern die alten Häuser und kleinen Hinterhöfe, in denen die Zeit stehengeblieben ist.

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Foto: AP Photo/Rajesh Kumar Singh

Und wer den Zauber der alten indischen Kultur erleben will, der unternimmt von Goa aus die Acht-Stunden-Fahrt mit Zug, Bus oder Taxi nach Hampi, in jene Unesco-Welterbe-Stätte im Hinterland, wo das letzte hinduistische Reich vom 14. bis zum 16. Jahrhundert seine Hauptstadt hatte, bevor die Muslime und dann die Engländer die Herrschaft über Zentralindien übernahmen. In einer magischen Felsen- und Flusslandschaft stehen verlassene Tempel- und Palastruinen, die an das Dschungelbuch und Indiana Jones erinnern. Dazwischen ein paar einfache Hotels und Lokale, die strikt vegetarische Kost anbieten. Wenn dann die Sonne über den Tempeltürmen untergeht, ist man tief in Indien angelangt. (Eric Frey, Rondo, DER STANDARD, 20.2.2015)