Wien - "Der Religionsunterricht ist in der Krise", lautet die Diagnose des grünen Bildungssprechers Harald Walser. Nicht nur, aber auch und vor allem der islamische Religionsunterricht, kritisierte Walser am Mittwoch. Als Beleg dafür nannte er eine Grazer Neue Mittelschule, in der ein Islamlehrer, der unter anderem die Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo verteidigt haben soll, nach Protesten der muslimischen Schüler suspendiert wurde. Aber auch einige Religionsbücher seien problematisch, erinnerte Walser an eines, in dem ein religiöser Märtyrer mit Kalaschnikow abgebildet und heroisiert wurde.
Religionsunterricht für 16 anerkannte Religionen
Theoretisch haben alle 16 derzeit anerkannten Religionsgemeinschaften ein Anrecht auf konfessionellen Religionsunterricht, durch die Möglichkeit der Abmeldung, aber auch die Zunahme konfessionsloser Kinder würden die Religionsklassen auch immer kleiner und seien entsprechend schwer zu administrieren.
Walser sprach sich namens der Grünen daher erneut für die "überfällige" Einführung eines verpflichtenden Unterrichtsfachs "Ethik- und Religionenunterricht" für alle Schüler durch universitär eigens ausgebildetes Lehrpersonal aus. Der konfessionelle Religionsunterricht könne weiterhin freiwillig angeboten und besucht werden: "Aber es ist sehr wichtig, dass alle Kinder mit verschiedenem religiösem, sozialem und familiärem Hintergrund gemeinsam unter Anleitung über ethische Fragen diskutieren", sagte Walser.
17 Jahre Schulversuch Ethik
Unterstützung bekam er vom Salzburger Religionspädagogen Anton Bucher, der vor 17 Jahren - so lange läuft Ethik als Schulversuch bereits, aktuell an 234 Standorten - den ersten Rahmenlehrplan dafür entwickelt und 1999 unter Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) die erste Evaluierung des Ethikunterrichts durchführte. Die Ergebnisse waren "sehr positiv", sagte Bucher. Das Fach hatte "sehr hohe Akzeptanz" und brachte "wünschenswerte ethische Einstellungen" wie etwa weniger ausländerfeindliche Stereotype hervor. Eine zweite Evaluierung mit 3800 Schülern vor zwei Jahren fiel noch besser aus. Nicht einmal ein Drittel der Religionslehrer (29 Prozent) wolle übrigens noch vorrangig die Glaubenslehre der katholischen Kirche vermitteln. Täten das noch mehr, "wären die Abmeldungsquoten noch viel höher".
Kein Geld für Ethik
Die Realisierungschancen für ein Pflichtfach Ethik sind derweil gering. "Kommt nicht infrage", verlautete aus der ÖVP. Die Volkspartei sei seit jeher für einen Ethikunterricht nur für jene Kinder, die den konfessionellen Religionsunterricht nicht besuchen, ließ Bildungssprecherin Brigitte Jank wissen. "Konfessioneller Religionsunterricht hat für eine werteorientierte Gesellschaft einen unverzichtbaren Stellenwert. Daran darf auch in Zukunft nicht gerüttelt werden", betonte sie.
Außerdem wurde laut Gratiszeitung Heute ein Brief von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) an Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), in dem sie 200 Millionen Euro mehr Budget, unter anderem für Ethikunterricht und Politische Bildung, forderte, abschlägig beschieden. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 19.2.2015)