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Wer gibt die Linie bei den Sozialisten von Präsident Hollande (hinten) und Premier Valls (oben) vor? Das fragen sich sowohl Wähler als auch die Narren beim Umzug in Nizza Dienstagnacht.

Foto: REUTERS/Eric Gaillard

Ach, wie schön war sie doch, die Zeit der "unité nationale", der nationalen Einheit nach den Attentaten von Paris. Das dürfte sich heute François Hollande auch ohne jeden Zynismus sagen. Mehr als einen Monat lang spielte er die Rolle des omnipräsenten Landesvaters, und er spielte sie gut: Seine Sympathiewerte schnellten in Meinungsumfragen nach oben, während die Nation Halt suchte.

Jetzt meldet sich der Politalltag zurück - und der ist weniger gut. Die Zeitung "La Dépêche" attestiert der Regierung eine "brutale Landung nach dem Post-Terror-Waffenstillstand". Der Vorsitzende der oppositionellen bürgerlichen UMP, Nicolas Sarkozy, freute sich via Twitter gar, es gebe in Frankreich "keine Parlamentsmehrheit und keine Regierung" mehr.

Dahinter steckt natürlich viel Wunschdenken. Immerhin mussten Hollande, sein Premierminister Manuel Valls und ihr junger Star-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron am Dienstag einsehen, dass sie für ein zentrales Wirtschaftsreformgesetz keine Parlamentsmehrheit mehr zusammenbringen würden. Für diesen Fall bietet die von General de Gaulle formulierte Landesverfassung einen Ausweg: Der Paragraf 49 erlaubt es der Regierung, ein Gesetz ohne Parlamentsabstimmung durchzubringen. Der Text wandert in den Senat und dann, in zweiter Lesung, zurück in die Nationalversammlung.

Dieser seltsame und komplizierte Mechanismus, unter Juristen etwas einfacher "die Keule" genannt, wurde im Paris des 20. Jahrhunderts oft angewandt. Da er eine "Demokratieverweigerung" darstellt, wie der frühere Sozialistenchef Hollande lauthals geschimpft hatte, kam er aber aus der Mode. Zuletzt wurde diese "Brutalität" (Hollande) im Jahr 2006 durch die Rechte angewandt.

"Ultraliberale" Maßnahmen

Mittlerweile im Élysée gelandet, muss der Präsident den "Quarante-neuf-trois" (49-3) aber selbst aus dem Hut zaubern. Denn das sogenannte Macron-Gesetz stieß bei der Linken auf heftigen Widerstand, enthält es doch ihrer Ansicht nach zahlreiche "ultraliberale" Maßnahmen wie die Ausweitung der Sonntagsarbeit.

Im Parti Socialiste (PS) drohten drei Dutzend "Frondeure", das heißt Linksabweichler, mit Ablehnung. Wenige Minuten vor der Abstimmung zog Valls das Gesetz zurück und aktivierte den Zaubertrick 49-3. Jetzt war es an der Opposition, den "Staatsstreich" zu verurteilen; sie reichte sogleich ein Misstrauensvotum ein, das am Donnerstag vor die Nationalversammlung kommen sollte.

Die Vertrauensabstimmung bietet für die Regierung kaum eine Gefahr: Zu ihrem Sturz ist eine absolute Mehrheit von 289 Stimmen nötig, da die leeren Stimmzettel nicht mitgerechnet werden. Die Frondeure wollen sich wie auch die Grünen zwar der Stimme enthalten, aber nicht gegen die Regierung stimmen, da sie sie nicht zu Fall bringen wollen. Die konservative UMP, die Zentrumspartei UDI, der rechtsextreme Front National und die Linksfront inklusive Kommunisten kommen aber zusammen nur auf 244 Stimmen.

Hollande und Valls sollten deshalb mit einem blauen Auge davonkommen. Das Macron-Gesetz werden sie aber nach dem Senat bald von Neuem der Nationalversammlung vorlegen müssen. Bis dann werden Hollande und Valls alles daran setzten, den Linksflügel ihrer Partei zu zähmen. Scheitern sie dabei, wird es eng. Hollande rechtfertigte den Rückgriff auf den Artikel 49-3 am Mittwoch mit den Worten, Frankreich habe bei den dringend nötigen Reformen "keine Zeit zu verlieren".

Eher wird er seinen schon heute zaghaften Reformeifer zügeln müssen. Der Sieg der Syriza-Koalition in Athen verleiht den "Frondeuren" in Paris Auftrieb. Weitere Liberalisierungsschritte in der Wirtschaft werden sie mit aller Kraft verhindern. Das wird es Hollande aber kaum ermöglichen, die Arbeitslosigkeit abzubauen und das Wachstum anzukurbeln. Was wiederum seine Wiederwahl 2017 erschweren dürfte. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 19.2.2015)