Die Zähne der Gemeinen Napfschnecke sehen zum Fürchten aus, sind aber nur rund einen Millimeter lang. Die Widerstandskraft des Materials, aus dem die Zähnchen bestehen, ist in der Natur unübertroffen.

Foto: University of Portsmouth

Napfschnecken leben in Brandungszonen, wo sie sich mit großer Kraft an Felsen festsaugen und mit ihrer zahnbewehrten Zunge Algenteppiche abgrasen.

Foto: University of Portsmouth

Portsmouth - Bisher galt Spinnenseide als das widerstandsfähigste Material, das die belebte Natur hervorzubringen in der Lage ist. Die feinen Fäden können eine Kraft von 1,3 Gigapascal aushalten, ehe sie reißen, wie Biologen in Labor-Experimenten nachgeprüft haben. Nun aber musste die Spinnenseide ihren Platz an der Spitze zugunsten eines noch festeren Naturmaterials räumen: Britische Forscher von der University of Portsmouth konnten nachweisen, dass die Zähne der Gemeinen Napfschnecke (Patella vulgata) gleich fünfmal so belastbar sind wie Spinnenfäden.

Napfschnecken sind Meeresschnecken, die in den flachen, wellenumtosten Gezeitenzonen zuhause sind. Sie leben hauptsächlich von Algen und Kleinstlebewesen, die sie mit ihrer zahnbewehrten Zunge vom Felsen raspeln. Das fortwährende Schmirgeln über das harte Gestein hätte vermutlich über kurz oder lang so gut wie jedes Material klein gekriegt - nicht aber jene Substanz, aus der die etwa einen Millimeter langen Zähnchen der Schnecke bestehen. Wie die Forscher rund um Asa Barber bei Untersuchungen mit einem Rasterkraftmikroskop festgestellt haben, hält das Material der Schneckenzähne einem Druck von bis zu 6,5 Gigapascal stand.

Fasern aus eisenverstärkten Kristallen

Das Geheimnis hinter dieser enormen Widerstandskraft steckt im inneren Aufbau der Zahnsubstanz: Wie Barber und seine Kollegen im "Journal of the Royal Society Interface" schreiben, setzt sich der Schneckenzahn aus nanometerkleinen Fasern aus eisenverstärkten Mineralien - sogenannten Goethiten - zusammen, die in einer Matrix aus Proteinen eingebettet sind. "Wir haben festgestellt, dass die Goethitfasern genau die richtige Größe besitzen, um dem Verbundmaterial seine große Widerstrandskraft zu verleihen", erklärt Barber.

Die Festigkeit der Schneckenzähne reicht sogar an die robustesten menschengemachten Materialien heran. Mit Graphen, dem in Schichtrichtung steifsten bekannten Material, können die Zähne zwar nicht konkurrieren, doch beispielsweise Kevlar übertreffen sie bei weitem, und mit hochqualitativen Carbonfasern stehen sie zumindest auf einer Stufe. Die Forscher glauben, dass das Kompositmaterial der Schneckenzähne in Zukunft vor allem für Ingenieure interessant sein dürfte. So könnte eine künstliche Variante der Zahnsubstanz etwa zu stabileren Flugzeugbauteilen oder Fahrzeugkarosserien verhelfen. Aber auch in der Zahnmedizin würden sich praktische Anwendungen finden lassen, so die Forscher. (tberg, derStandard.at, 18.2.2015)