Athen geht den Europäern auf die Nerven. Die scheinbare Unentschlossenheit seiner neuen Regierung, das ständige Ausreizen von Ultimaten der Kreditgeber sind Bluff und Poker, so heißt es. Finanzminister Yiannis Varoufakis, der legere Uni-Professor, ist schließlich auch Spieltheoretiker und hat für die Valve Corporation gearbeitet, einen der größten Softwarehersteller von Videospielen. Doch eine andere Erklärung für die Hartnäckigkeit der von der Linken geführten Regierung ist stichhaltiger. Es geht um die Etablierung ihrer politischen Legitimität.

Mit der Bitte um Verlängerung der Kredithilfen hat sich die Regierung von Alexis Tsipras nun dem Druck der EU gebeugt. Einen Kotau vor der Gruppe der Eurofinanzminister wollte sie nie machen. Griechenlands Linke akzeptiert weder System noch Programm der Kredite. Gegen beide gibt es gewichtige Argumente: gegen die Troikabeamten und gegen ihre Sparanweisungen und statistischen Kurven, mit denen sie Griechenlands Staatsfinanzen über ein Jahrzehnt gesundrechnen. In den Verhandlungen mit der Eurogruppe wird sich die griechische Regierung deshalb weiter wehren. Sie will Finanzzusagen, aber nicht das alte Spardiktat.

Die politische Umwälzung - "Revolution" heißt das dem Wortsinn nach -, die im Vormonat in Griechenland stattgefunden hat, wird im übrigen Europa nach wie vor nicht verstanden. Denn auch nach fünf Jahren Finanzkrise im Süden ist unsere Kenntnis der griechischen Nachkriegsgeschichte und ihrer Politiker oberflächlich. Alexis Tsipras hat ein leergeräumtes Premiersamt betreten. Der Sieg seiner Linkspartei Syriza ist eine Herausforderung für den griechischen Staat und die Zwei-Parteien-Wirtschaft von Nea Dimokratia und Pasok in Bürokratie, Medien, Politik, Unternehmen. Auf Österreich übertragen: Die KPÖ regiert seit Montag, SPÖ und ÖVP sind entsorgt.

Pacta sunt servanda. Auch für Tsipras gelten Kreditabkommen, die Vorgängerregierungen unterschrieben haben. Doch mit Max Weber gesprochen: Syriza etabliert eine Herrschaft, die von einer Mehrheit der Griechen gewollt und als legitim empfunden wird. Sie folgt gesellschaftlichen Grundwerten der Gerechtigkeit und Transparenz. Auch für Europa gilt die Wahl der Griechen. Denn Europa ist schlussendlich auf seinen Völkern und Nationen aufgebaut, nicht auf einer Troika von Kreditgebern.

Die Regierung Tsipras wird zwischen dem Prinzip der Vertragstreue und jenem der legitimen politischen Herrschaft ein Gleichgewicht finden müssen. Aber dasselbe gilt für die anderen EU-Regierungen. Einem Mitgliedsstaat der Union im Gegenzug für die Vergabe von nur noch mehr Schuldkrediten das Recht auf die Ausübung einer eigenen Haushaltspolitik zu nehmen ist höchst problematisch. Wider besseres Wissen Sparauflagen zu folgen, die sich als kontraproduktiv erwiesen haben - sicher nicht alle, aber doch sehr viele -, ist kein Ausweis von moralischer Größe, sondern von Dummheit und letztlich Unverantwortlichkeit gegenüber den Bürgern.

Erinnern wir uns: Es war Tsipras' konservativer Vorgänger Antonis Samaras, der sich 2011 sträubte, eine Garantieerklärung an die Gläubiger zu unterschreiben, und der 2012 Wahlen gewann, weil er versprach, die Kreditbedingungen neu auszuhandeln. Die Troika zwang ihn in die Knie. Tsipras versucht dasselbe. Seine Linke war nie Teil des ruinösen Politsystems. (Markus Bernath, DER STANDARD, 20.2.2015)