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Eine Muslima filmt die Rede von US-Präsident Barack Obama bei der Anti-Terror-Konferenz in Washington. Kernsatz: "Wir sind nicht im Krieg mit dem Islam."

Foto: Reuters/Lamarque

John Kerry spricht von der Rebellion gegen die eigene Bedeutungslosigkeit, von der Sehnsucht orientierungsloser Teenager nach der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, er spricht vom "Hunger nach simplen Schwarz-Weiß-Antworten in einer komplizierten Welt". Der amerikanische Außenminister versucht ein Phänomen zu erklären, Gründe zu nennen, warum Terrorgruppen wie der "Islamische Staat" (IS) junge Menschen aus dem Westen in ihren Bann ziehen. "Sie können nicht besiegen, was Sie nicht verstehen", sagt Kerry.

Er lässt an ein akademisches Seminar denken, der Anti-Terror-Gipfel, den das Kabinett Barack Obamas am Donnerstag im Eisenhower Executive Office Building ausrichtet, einem stuckbeladenen Büroklotz gleich neben dem Weißen Haus. Abgesandte aus über 60 Ländern sind angereist. Politiker und Geistliche, Wissenschafter, Sozialarbeiter und Unternehmer sitzen um einen großen, eckigen Tisch. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, ist da, ebenso wie Hans Bonte, der Rathauschef von Vilvoorde, einer belgischen Gemeinde mit knapp fünftausend Einwohnern, aus der 28 junge Menschen in den Nahen Osten gegangen sind, um sich der IS anzuschließen. Überraschungsgast ist Alexander Bortnikow, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes. Österreich ist beim Gipfel nicht vertreten.

Kerry beschwört den Wert breiter Koalitionen, als er zu den Versammelten spricht: "Kein Land, keine Armee, keine Gruppe kann der Gefahr allein adäquat begegnen." Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon warnt vor den "Fallstricken kurzsichtiger Politik", er mahnt zur Geduld. Die Extremisten hätten es nur darauf angelegt, Überreaktionen zu provozieren. "In diese Falle dürfen wir nicht tappen. Raketen können zwar Terroristen töten, aber nur gute Regierungspolitik tötet den Terrorismus."

Ins selbe Horn stößt Obama, als er in schnörkelloser Prosa gegen die Theorie vom "Clash of Civilizations" anredet. Zu behaupten, der Westen arbeite auf einen Zusammenprall der Zivilisationen hin, er führe einen Krieg gegen den Islam, sei eine Lüge. Es liege in der Verantwortung muslimischer Gelehrter und Geistlicher, auf solche Thesen energischer zu reagieren, mahnt der US-Präsident. Den Älteren, so weise sie sein mögen, hatte er tags zuvor gesagt, wolle er Folgendes ans Herz legen: "Wie Sie kommunizieren, das ist oft langweilig." Wer online nicht auf Draht sei, könne auch keinen Draht zu den Jungen finden, jedenfalls nicht so wirkungsvoll, wie es den Extremisten mit ihren Youtube-Videos, ihrer raffinierten Reklame in sozialen Netzwerken gelinge.

Große und kleine Megafone

Sasha Havlicek, Forscherin am Londoner Institute for Strategic Dialogue, bedient sich einer Grafik mit Megafonen, um zu illustrieren, welchen Vorsprung die IS-Propagandisten bei Twitter oder Facebook haben. Ein großes Megafon symbolisiert die Miliz, deutlich kleinere stehen für die Regierungen, die in Washington eingeschlossen. In deren Reihen scheint man sich des Problems zumindest bewusst zu sein. Selbst wenn es gelinge, der IS den "sicheren Hafen" in Syrien und im Irak zu nehmen, könnten die Terroristen ihre Ideen virtuos in sozialen Medien verbreiten, doziert Obamas Berater Ben Rhodes.

Kritiker der Anti-Terror-Strategie wiederum fühlen sich an die Zeit nach dem 11. September 2001 erinnert, als amerikanische Muslime unter eine Art Generalverdacht gerieten und, etwa in New York, systematisch überwacht wurden. Keith Ellison, ein linker Demokrat aus Minneapolis, 2006 als erster Muslim in den Kongress gewählt, sieht die Gefahr, dass seine Glaubensgenossen einmal mehr stigmatisiert werden - pauschal.

Minneapolis geriet in die Schlagzeilen, als junge Männer somalischer Herkunft von dort in den syrischen Bürgerkrieg zogen. Vor zwei Wochen wiederum kappten amerikanische Banken die Bande nach Somalia, um - auf Drängen des Finanzministeriums - Geldtransfers an radikale Organisationen am Horn von Afrika zu erschweren. "Kontraproduktiv", protestiert Ellison. "Denn nun werden die Extremisten den Leuten sagen: Seht ihr, sie lassen nicht mal zu, dass eure Verwandten euch ein paar Dollar überweisen." (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 20.2.2015)