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Ungewöhnlich unangepasst: Danilo Kis (1935-1989).

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Flackernde Schatten, die die Konturen der Gegenstände auflösen und die Oberfläche des Kubus zerschlagen, wobei sie die Zimmerdecke und die Wände nach der Willkür der gezackten Flamme fernrücken, die einmal auflodert, dann wieder schrumpft, als wollte sie erlöschen."

Ein Autor, der heutzutage selbst in gebildeten Kreisen kaum mehr denn ein flackernder Schatten ist. Der der Willkür mehrerer, auf sehr ähnliche Weise zerstörerischer Systeme ausgesetzt war. Und dessen Leben viel zu früh, um sechs Uhr abends am 15. Oktober 1989, erlosch. Sein Name: Danilo Kiš. Seine Berufung: die Literatur. Sein Schicksal: das Vergessenwerden.

Mehr als ein Jahr vor dem langsamen Tod des Kettenrauchers Kiš an Lungenkrebs begann in einer Hamburger Wochenzeitung eine lange, seinem Roman Sanduhr gewidmete Besprechung so: "Nur langsam und gegen den Widerstand träger Lesegewohnheiten und blinder Verlagsgeschäftigkeiten hat sich der große jugoslawische Erzähler Danilo Kiš nun endlich doch noch im deutschen Sprachraum durchzusetzen begonnen." Heute, mehr als 25 Jahre später, angesichts verstärkter Leseträgheit und hektischerer Verlagsgeschäftigkeit, ist zu konstatieren: Danilo Kiš ist wahrscheinlich der größte halbvergessene europäische Autor seit 1945.

Höchste Zeit, ihn, seine klare Prosa von unbezähmbarer Intelligenz, abgerungen um den Preis erbärmlicher Armut und bewussten Außenseiterseins, wiederzuentdecken. Der Oxforder Osteuropahistoriker Mark Thompson zäumt die Biografie von Danilo Kiš ungewöhnlich auf und passend unangepasst. Mit einer kurzen Prosaskizze nämlich, die der hochgebildete Schriftsteller sechs Jahre vor seinem Tod zu Papier brachte. Die von ihm gewählte Überschrift lautete: "Geburtsurkunde".

Danilo Kiš, einst auch für den Literaturnobelpreis gehandelt, suchte sich stets als Position den Stuhl, der gar nicht da war. Ungarischer Familienname, geboren in Serbien und aufgewachsen in Montenegro, mit neun vaterlos, mit sechzehn Vollwaise. In Jugoslawien wurde er von der Kritik nicht verstanden - weil er zu avantgardistisch und zu weltliterarisch dachte. In der Weltliteratur kam er, abgesehen von einigen Fürsprechern, die ihn verstanden (Joseph Brodsky) oder kurios für sich in Beschlag nahmen (Susan Sontag), unverdientermaßen nie richtig an - weil er aus einem Land stammte, dessen Literatur nie adäquat wahrgenommen wurde.

In der Sprache focht er, der Verfechter des Serbokroatischen, erbitterte Sträuße - weil Nationalisten begannen, das Serbokroatische auseinanderzudividieren. Im Ausland verweigerte er sich der Rubrik "Dissident" - er wollte zurück nach Jugoslawien reisen können und genoss vor allem Dubrovnik und Umgebung. In Jugoslawien goss er Hohn und Spott über jene Pseudointellektuellen, die dort Einfluss hatten. In der Pari- ser Literaturszene ab den späten 1970er-Jahren kam er nie an - weil er rigide antikommunistisch und antistalinistisch war.

Den modischen Mitteleuropa-Debatten ab 1980 entzog er sich. Der Verortung im Judentum (sein Vater Eduard war in Auschwitz umgekommen) stand entgegen, dass seine Mutter, orthodoxe Christin, Danilo mit vier Jahren taufen ließ, er später zwar Distanz zur Kirche hielt - sich dann aber doch eine orthodoxe Bestattung wünschte. Der Verengung auf den Exotenstatus als Jugoslawe stand seine umfassende Bildung entgegen, in Belgrad war er ein brillanter Student der vergleichenden Literaturwissenschaft, und dass sein Lieblingsland Frankreich, dort lebte er in den Sechzigerjahren, und seine Lieblingsstadt Paris war, ab 1981 sein Wohnsitz.

Was, wäre er älter als 54 Jahre geworden und hätte die Exzesse des Zerfall- und Bürgerkriegs miterleben müssen, der auf den ausgeglühten Ruinen von Titos Regime mit einer Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit sondergleichen seit 1945 ausgefochten wurde? Hätte es ihm die Sprache verschlagen ob des rasenden Hypernationalismus, der Lügenpropaganda? Und, wichtiger, was wäre das für ein Roman geworden über den Renaissancedichter Digo Pires aus Dubrovnik, bevor der Krebs alles durchkreuzte?

Thompsons Buch ist alles nur keine Hagiografie, keine schwärmerische Lebensbeschreibung. Dafür bot Kiš, schlank, groß gewachsen und mit einem eindrucksvollen Lockenhaupt, der, wenn er wollte, charmant sein konnte und ein Frauenschwarm war, andererseits selbst auch wenig Anlass: aufbrausend bis grob, exzessiv, was Alkohol und Zigaretten anging, ebenso zeitweise grenzenlos wie treulos in der Liebe.

Mehr als 250 Seiten lang dreht und wendet Thompson den Inhalt von Kiš' "Geburtsurkunde" hin und her. Ergeht sich in langen Ab- und Umwegen. Diese schier endlosen Verästelungen setzen aber das voraus, was Thompson ab der Mitte seines 20 Jahre lang erarbeiteten Buches bietet: den exzeptionell gut recherchierten biografischen und literarischen Lebenshintergrund.

Vieles erhellt sich erst hier. Hält man so lange durch, hat man am Ende ein erstaunliches Kaleidoskop-Porträt gelesen, klarer als eine konventionell aufgebaute Biografie. Es ergibt sich das, was der Untertitel in Aussicht stellt: die Geschichte von Danilo Kiš. Und die "Geschichte". Der Roman seiner Atem nehmenden Romane, von Frühe Leiden bis zur Enzyklopädie der Toten. (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 21./22.2.2015)