Wien - Freitag antwortete ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz den um Ö1 besorgten Funkhaus-Mitarbeitern, die ihre Bedenken als Kommentar der anderen im STANDARD veröffentlichten. ORF-Betriebsratschef Gerhard Moser und andere Mitarbeiter sehen in dem Brief übrigens mehrere Unwahrheiten:

Wrabetz im Wortlaut:

"Glückliches Österreich!" könnte man sich angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussion um den Umzug der ORF-Radios in das erweiterte ORF-Zentrum denken. An sich ein normaler Vorgang, jedes Jahr ziehen viele Unternehmen und Institutionen um, ohne dass die Welt aus den Fugen gerät.

Andernorts wird über die Zukunft der Medien, über die größten Transformationsprozesse in unserer Branche seit ihrem Bestehen und über die Frage, wie man journalistische Arbeitsplätze erhalten kann und viele andere wichtige Fragen diskutiert. Wir diskutieren darüber, ob und warum ein Radiosender von einem Wiener Bezirk in einen anderen zieht. Das ist bedauerlich, aber selbstverständlich stelle ich mich auch dieser Diskussion.

"Einfach absurd"

Denn der am Dienstag, dem 17.2.2015, im "Standard" unter dem Titel "ORF-Zukunft: Radio muss im Funkhaus bleiben!" erschienene "Offene Brief" von für die Öffentlichkeit anonym gebliebenen ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter an die ORF-Geschäftsführung bedarf einiger Richtigstellungen. Dies, um die Belegschaft und nicht zuletzt auch das Publikum, dessen Vertrauen der ORF genießt und das den ORF schließlich finanziert, nicht zu verunsichern. Denn die Unterstellung, der ORF wolle den Erfolg von Ö1 oder eines anderen seiner Radios schmälern, ist einfach absurd. Das Gegenteil ist der Fall. Ö1 wird nicht in einem amorphen Newsroomcluster aufgehen, sondern am neuen Standort auch räumlich und organisatorisch eine eigene Einheit bilden. Und die neuen Räumlichkeiten werden deutlich besser und auf die besonderen Erfordernisse der Ö1-Redaktionen ausgerichtet sein als bisher.

Die Senderidentitäten der Radioprogramme bleiben erhalten. Ö1 bleibt Ö1, FM4 bleibt FM4 und Ö3 bleibt Ö3!Die Argentinierstraße bleibt als Kulturstandort mit dem RadioKulturhaus erhalten!

Gerade das Beispiel Ö1 zeigt: Seitdem ich die Geschäftsführer-Verantwortung für den ORF trage, also seit mehr als acht Jahren, habe ich dafür gesorgt, dass die öffentlich-rechtlichen Kernbereiche, zu denen selbstverständlich Ö1 gehört, auch unter schwierigsten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weder in Bedeutung noch Finanzierung beeinträchtigt wurden.

"Ö1-Budget gesteigert"

Im Gegenteil: Das Ö1-Budget wurde, trotz des unternehmensweiten Einsparungskurses, sogar gesteigert. Wir haben die Situation der freien Mitarbeiter bei Ö1 deutlich verbessert. Und nachdem dem ORF durch die ersatzlose Streichung der Gebührenrefundierung 2014 rund 40 Mio. Euro pro Jahr entzogen wurden, habe ich vehement und mehrfach Vorschläge, bei Ö1 radikal zu sparen oder gar das Radio-Symphonieorchester aufzulösen, zurückgewiesen. Das ist für mich, aber keineswegs für alle, eine Selbstverständlichkeit.

Kultur gehört zur DNA des ORF. Der ORF ist mit Ö1, FM4, der ORF-2-Kultur, 3sat, dem RSO, dem RadioKulturhaus, den unzähligen Kulturinitiativen der Landesstudios, Off-Air-Aktivitäten wie der "Langen Nacht der Museen" etc. der größte Kultur-Vermittler und -Produzent des Landes. Und mit unserem neuen Kulturspartenkanal ORF III ist es neben zahlreichen weiteren Initiativen gelungen, die TV-Kulturspielflächen des ORF noch einmal deutlich auszubauen. Kein anderer öffentlich-rechtlicher Sender berichtet so viel über Kultur, kein anderer Sender produziert mehr Kultur als der ORF.

Insgesamt wenden wir für den Bereich Kultur jährlich rund 100 Mio. Euro auf, daran wird sich, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen, nichts ändern.

"Kopf in den Sand"

Und es wird auch in Zukunft weder zum "Untergang" noch zu einem Bedeutungsverlust von Ö1 kommen. Denn im Gegensatz zu den im Befürchtungskonjunktiv gehaltenen Unterstellungen werde ich – so lange ich Verantwortung trage – die Verwässerung der Marke Ö1 nicht zulassen. Ganz im Gegenteil. Wir arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, den ORF fit für die Zukunft zu machen. Die Rahmenbedingungen für öffentlich-rechtliche Medienproduktion haben sich dramatisch verändert. Die Digitalisierung der Produktionstechnologie, die neuen Ausspielplattformen und das geänderte Mediennutzungsverhalten des Publikums sind Fakten. Den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als ob einen das nichts anginge, ist keine Option. Jedes öffentlich-rechtliche Medium, das seinen Auftrag ernst nimmt, muss sich damit auseinandersetzen. Der ORF hat das im umfassendsten Strategieprozess seiner Geschichte getan. Kaum ein Projekt im ORF wurde je so intensiv analysiert, diskutiert und profund vorbereitet wie die nun von einigen wenigen so heftig kritisierte Standortentscheidung.

Das Ergebnis ist eindeutig: Ein gemeinsamer Standort für alle ORF-Medien im Wiener ORF-Zentrum bietet die besten Voraussetzungen für die Produktion der ORF-Radio-, -Fernseh- und -Online-Angebote im Digitalzeitalter:

An einem Standort ist multimediales Zusammenarbeiten besser möglich als an dreien. Der technische und organisatorische Aufwand für den Betrieb eines Standorts ist geringer als für drei. Ein Standort ist wirtschaftlich günstiger als drei.

"Daumen mal Pi"

Alle unsere Analysen haben gezeigt, dass dadurch mittelfristig 10 Mio. Euro pro Jahr eingespart werden können, die in die Programme fließen werden. Das ist das Ergebnis seriöser Berechnungen und nicht von "Daumen mal Pi"-Schätzungen, wie sie in offenen Briefen angestellt werden. Das ORF-Zentrum ist fast 40 Jahre alt, das Funkhaus fast 80 Jahre. Heute geht es darum, die optimalen Rahmenbedingungen für die nächsten 40 Jahre zu schaffen.

Und auch wenn es technisch klingt, Ö1 wird auch organisatorisch am neuen Standort profitieren. Mit der geplanten Einführung eines Ö1-Channelmanagers, also eines "Ö1-Chefs", bekommt der Sender erstmals eine hauptverantwortliche Leitung mit eigenen Ressourcen und eigenem Stab. Das heißt, dass die Ö1-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Zukunft organisatorisch und räumlich enger und besser zusammenarbeiten werden als bisher.

"Kein Mitarbeiterabbau"

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Anmerkungen ist mir wichtig, auch einige – hoffentlich mangels besseren Wissens – falsche Unterstellungen aus dem "Offenen Brief" sofort richtigzustellen:

Beim Projekt Medienstandort, also der Zusammenführung aller Wiener ORF-Standorte auf dem generalsanierten und um einen Neubau erweiterten Küniglberg, gibt es zum heutigen Tag weder Kosten- noch Budgetüberschreitungen. Aus anderen Bauprojekten, bei denen es solche gegeben hätte, auf den ORF zu schließen, ist unredlich.Der Verkauf des Funkhauses, der in diesem Jahr eingeleitet und im kommenden Jahr abgeschlossen werden soll, wird in voller Transparenz durchgeführt. Es gibt noch keinen feststehenden Käufer. Sollte der Eigentumsübergang vor der Absiedelung erfolgen, wird eine Rückmiete nur dann in Betracht gezogen, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll ist, sonst erfolgt der Eigentumsübergang eben später. Dadurch entstehen keine Mehrkosten. Auch zum kolportierten Mitarbeiterabbau zum wiederholten Male eine Klarstellung: Wenn wir von 10 Prozent Synergien sprechen, heißt das, Prozesse an einem gemeinsamen Standort so sinnvoll zu gestalten, dass wir zusätzliche Ressourcen für die weitere Steigerung der Qualität und den Ausbau neuer, unsere Programme unterstützende Onlinedienste zur Verfügung haben. Es ist durch die Standortzusammenführung kein Mitarbeiterabbau geplant.

Gerne möchte ich auch öffentlich das vor einem Jahr ausgesprochene Angebot erneuern, dass die protestierenden ORF-Räte jederzeit Einblick in sämtliche Berechnungsgrundlagen zur Standortentscheidung nehmen können. Dass dieses Angebot seit einem Jahr nicht genutzt wurde, dafür aber ständig der Weg über die Öffentlichkeit gesucht wird, ist verwunderlich.

"Alle Mitarbeiter einbeziehen"

Wir müssen uns die Frage stellen, warum wir die Öffentlichkeit mit ORF-internen Befindlichkeiten behelligen, während kommerzielle Mitbewerber wie jüngst der Geschäftsführer von Krone-Hit die Frequenzketten der ORF-Radios Ö1 und FM4 infrage und deren Abwanderung ins digitale Frequenzspektrum in den Raum stellen, was einer Abschaffung gleichkommt. Gegen derartige Angriffe auf unser Fundament müssen wir uns gemeinsam wehren, nicht dagegen, enger zusammenzuarbeiten.

Unser Zukunftsprojekt eines neuen ORF-Medienzentrums dient einem Ziel. Nämlich den ORF programmlich, technologisch und organisatorisch so aufzustellen, dass er auch in 20 Jahren noch ist, was er heute ist: Österreichs Leitmedium!

Denn frei nach Erich Fried: Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt!

Wir werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Umsetzung dieses Prozesses miteinbeziehen und haben ein umfangreiches Kommunikationsprojekt gestartet.

Wir werden alle Bedenken ernst nehmen, Raum- und Funktionsprogramme gemeinsam mit der Belegschaft entwickeln u. v. m. Zur Mitarbeit und Mitgestaltung sind alle sehr herzlich eingeladen.

Ich bedanke mich für Ihre aktive Unterstützung dieses für den ORF so wichtigen Zukunftsprojektes, über dessen Fortschritt wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Alexander Wrabetz"

(red, derStandard.at, 20.2.2015)