Wien – Ein junger Mann in grauer Daunenjacke wird von der Polizei durchsucht. Er leert die Taschen seiner Jeans und seines Anoraks. "Wir kennen den Herrn schon", sagt die Polizistin, sie durchstöbert noch schnell die Zigarettenpackung. Am Kebabstand daneben stehen neugierige Beobachter bei einem Bier. "Eine ganz normale Personenkontrolle. Wir überprüfen die Klientel hier regelmäßig", erklärt die Polizistin.

Der junge Mann raucht gemütlich. Bei ihm haben die Polizisten nichts entdeckt. "Aber wir finden an dem Eck eigentlich jeden Tag Suchtmittel", sagt die Polizistin.

derstandard.at/von usslar

Nach dem Praterstern ist derzeit die U6-Station Josefstädter Straße im sechzehnten Wiener Gemeindebezirk der Ort mit den meisten Streetwork-Kontakten der Sucht- und Drogenkoordination Wien. "Seit vielen Jahren halten sich obdachlose und alkoholkranke Menschen im Bereich der Station auf. Zusätzlich besteht untertags das Problem des Kleindrogenhandels", sagt Andrea Jäger, Leiterin der dortigen Abteilung Öffentlicher Raum und Sicherheit.

Rund um die U-Bahn-Station ist die Polizei durchgehend präsent. Gleichzeitig versuchen Streetworker zu helfen: "Suchtkranke Menschen halten sich hier nur kurzfristig auf. Die Sozialarbeiter beraten und leiten ans Sozial- und Gesundheitssystem weiter", sagt Jäger.

"Es ist wie ein Doppelleben, ich gehe in die Schule und stehe trotzdem hier", sagt der eben Durchsuchte zur Polizei. Wenige Minuten später ist er verschwunden. "Du kannst dir denken, wie das hier ist – scheiße", sagt ein Mann: "Früher war die Szene am Karlsplatz. Jetzt sind wir hier."

Angequatscht und angeschnorrt

Johanna P. arbeitet nahe der Station. Als Kindergartenbetreuerin nutzt sie die Bahn mit ihren Schützlingen. "Das Eck ist ein Treffpunkt der Junkies geworden. Schade, es ist ein sehr schönes Grätzel", sagt sie. Die Leute würden "einen anquatschen und anschnorren".

Foto: Regine Hendrich

Von stärkerer Polizeipräsenz hält Mustafa Kadakal wenig: "Das bringt nichts." Durchsuchte Personen würden verschwinden und, wenn die Polizei sich "umdreht", wiederkommen. Kadakal arbeitet am Essensstand seiner Familie. "Die Leute, die hier den ganzen Tag rumhängen und in die Luft schauen, wollen kein Kebab", sagt er. Anfangs sei dies schlecht fürs Geschäft gewesen, aber "mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt". Es passiere aber nichts: "Diskussionen gibt es, aber handgreiflich wird’s nie."

Kadakal ist im "Sechzehnten" geboren und aufgewachsen. Er kennt und liebt hier jeden Fleck. Das Grätzel sei einzigartig: "Die Diversität ist toll. Seitdem in den letzten Jahren so viel investiert wurde, ist es schön." Früher hätten sich die Leute "gefürchtet", nach Ottakring zu kommen, "wegen der Migranten". Heute sei das nicht mehr so: "Alle sind integriert. Wir lieben es, hier zu leben."

Aufgewärmt in der Tagesstätte

Auf der anderen Seite der U-Bahn-Station befindet sich die Josi, eine Tagesstätte für obdachlose Menschen. Die meisten, die hier ihre Zeit verbringen, übernachten in Notquartieren und suchen tagsüber Schutz vor der Kälte. Im Aufenthaltsraum wird getratscht, geraucht und Kaffee getrunken. "Wir bieten den Besuchern die Grundversorgung", sagt Alexander Minich, Leiter der Josi.

Foto: Regine Hendrich

Diese umfasst etwa Infrastruktur zur Körperpflege, Essens- und Kochmöglichkeiten oder einen "sicheren Ort" für Habseligkeiten. Die Menschen, die hier einkehren, werden von außen mit den Suchtkranken gleichgesetzt. "Es sind beides marginalisierte Gruppen – sie vermischen sich aber kaum", sagt Minich.

Sozialer Treffpunkt

Früher hätten die Josi-Nutzer die U-Bahn-Station als sozialen Treffpunkt gesehen, auch wenn sie längst wieder eine eigene Bleibe hatten: "Die Wohnungen sind meist klein, die Freunde hatte man hier." Heute sei dies nicht mehr so.

Wegen des Umbaus der U6 zog die Josi monatelang um: "Da hat sich das zersprengt." Die Leute kommen, um sich aufzuwärmen, und gehen abends wieder. Dass die Tagesstätte so zentral an der U-Bahn liegt, finden viele Anrainer gut: "Das ist ein Teil unserer Gesellschaft, man soll es auch sehen", sagt Lisa L. auf dem Weg zum Yppenplatz.