Wien – Seit mehr als vier Jahren ist die Reform des Wiener Wahlrechts Thema in der rot-grünen Koalition. Vergangene Woche verständigten sich SPÖ und Grüne darauf, sich beim umstrittensten Thema, der Reduzierung des mehrheitsfördernden Faktors, nicht zu einigen.

Laut internen Informationen aus Verhandlerkreisen dürfte die Reform aber nicht wegen unterschiedlicher Positionen, sondern wegen Eitelkeiten gescheitert sein. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat im Interview mit dem STANDARD ein bisher geheimes Offert der SPÖ an die Grünen veröffentlicht: Laut Häupl hätte dieses Angebot die Reduzierung des mehrheitsfördernden Faktors von 1 auf 0,66 vorgesehen. Auf Basis des Wahlergebnisses von 2010 würde die SPÖ damit laut Häupl zwei Mandate verlieren.

Stimmt nicht, reagierten die Grünen, die SPÖ habe sich verrechnet: Erst ab dem Faktor 0,61 würde dieser Fall eintreten.Auf Nachfrage klärt SPÖ -Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler auf: "Häupl hat recht, er hat nur eine falsche Zahl genannt." Denn es habe vonseiten der Roten noch ein weiteres verbessertes Angebot von 0,6 gegeben, das die Roten eben zwei Mandate gekostet hätte. 0,6 ist aber just jene Zahl, mit der die Wiener Grünen vor dem Scheitern der Verhandlungen einen vermeintlichen Kompromiss öffentlich verkündet hatten.

SPÖ verstimmt

Warum also hat es – trotz eines gleichlautenden Angebots von Rot an Grün und von Grün an Rot – keine Einigung gegeben? Das erneute Vorpreschen und der Schritt der Grünen an die Öffentlichkeit haben die Wiener Sozialdemokraten in der Wahlrechtsfrage dermaßen verstimmt, dass man keiner Einigung mehr zustimmen konnte, sagt Niedermühlbichler dem STANDARD. Nachsatz: Außerdem hätten die Grünen gefordert, dass bei einer Einigung auf 0,6 ab der Wien-Wahl 2020 der Faktor noch einmal auf 0,5 reduziert werden müsste.

Dass die Wahlrechtsreform an persönlichen Befindlichkeiten der Parteien gescheitert sei, streitet Niedermühlbichler ab. "Es geht nicht um Eitelkeiten. Aber die SPÖ-Parteigremien hätten nach dem unprofessionellen Verhalten der Grünen der Einigung niemals zugestimmt. Es geht auch um Verhandlungstaktik. Das erneute Vorpreschen des Koalitionspartners war ein No-Go."

Grüne waren "patschert"

Im Lager der Grünen lässt man durchklingen, dass die vorschnelle öffentliche Verkündung einer vermeintlichen Einigung "etwas patschert" gewesen sei. Inhaltlich habe diese aber vollends gestimmt. Eine erneute Aufnahme der Verhandlungen werde es von SPÖ-Seite trotz des öffentlichen Aufdeckens der Skurrilität, dass zwei fast gleichlautende Angebote zu keiner Einigung geführt haben, nicht geben. "Bei uns in den Gremien ist das nicht mehr machbar", sagte Niedermühlbichler. Nach der Wahl werden wir das Thema neu verhandeln."

Diese Aussage ist insofern brisant, weil die Grünen angekündigt haben, bei der nächsten Landtagssitzung Ende März einen Antrag einzubringen. Dieser wird dem Notariatsakt entsprechen, den die Grünen noch als Oppositionspartei 2010 mit ÖVP und FPÖ unterschrieben haben und der vorsieht, dass der mehrheitsfördernde Faktor im Wahlrecht ganz gestrichen werden soll. Das würde heißen, dass die SPÖ vier Mandate verlieren würde – und nicht nur zwei, wie von den Grünen als Kompromiss angeboten.

Obwohl Grüne, ÖVP und FPÖ über eine Mehrheit im Landtag verfügen, hat die SPÖ aber eine Blockade in Aussicht gestellt. Das ist möglich, weil die SPÖ im zuständigen Ausschuss über eine absolute Mehrheit verfügt. Glaubt man der Aussage Niedermühlbichlers, wird der grüne Antrag also bis nach der Wahl 2015 im Ausschuss verschleppt werden. (David Krutzler, DER STANDARD, 21.2.2015)