Michael Häupls Schwenk in Sachen Vermögenssteuern hätte SPÖ und ÖVP einer Einigung über die Steuerreform einen großen Schritt weitergebracht, wäre da nicht die Sache mit der Erbschaftssteuer.
Häupl, und mit ihm SPÖ-Chef Werner Faymann, sieht Erbschaften und Schenkungen als Vermögenszuwachs, der sehr wohl besteuert werden soll. Für ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ist dies eine klassische Substanzsteuer, "weil sie auf die Substanz zu errichten ist", wie er im Standard-Interview sagt. Und auf eine solche habe Häupl ja dezidiert verzichtet.
Wer hat nun recht? Sind Erbschafts- und Schenkungssteuern Zuwachs- oder Substanzsteuern? Das ist mehr als ein Streit über Semantik, sondern einer über unterschiedliche Philosophien und ideologisch geprägten Gesellschaftsbildern, bei denen es keine objektive Wahrheit gibt. Letztlich haben beide recht, je nachdem, wie man die Sache betrachtet.
Individuum oder Familienmitglied
Für einen Erben, dem eine Großtante ein Sparbuch vermacht, ist dies sicher ein Vermögenszuwachs, von dem er einen Teil abgeführt könnte. Für eine Hotelierstochter, die schon seit Jahren im elterlichen Betrieb mitarbeitet und ihn dann erbt, würde eine Erbschaftssteuer die Vermögenssubstanz beschneiden. Auch das Eigenheim der Eltern gilt oft als Familienbesitz, und jede Abgabe darauf als Substanzsteuer.
Noch grundsätzlicher: Wer nur auf das Individuum abstellt, der müsste dafür eintreten, dass jede Erbschaft und Schenkung wie anderes Einkommen besteuert wird. Wer aber Menschen vor allem als Teil von Familien sieht, der kann argumentieren, dass die Übergabe des Familienvermögens an die nächste Generation doch kein Anlass für eine Besteuerung ist.
Inhaltliche Kompromisse gibt es nicht
Dieser Konflikt lässt sich inhaltlich nicht durch Kompromisse lösen, denn er ist eine Frage der Sichtweise.
Dazu kommt, dass beide Parteien an ihren Interpretationen hängen. Für die SPÖ ist eine Grundfrage der Fairness, dass Erben nicht steuerfrei ist, für die ÖVP ein ebenso wichtiges Prinzip, dass bestehendes Vermögen nicht besteuert werden soll.
Eine Lösung ist nur möglich, wenn sich beide Seiten eingestehen, dass sie sich hier grundsätzlich nicht einigen können, weil es kein richtig oder falsch gibt. Ein politischer Kompromiss müsste beide unglücklich machen. In diese Richtung muss in der Koalition bis zum 17. März nachgedacht werden.
Eine niedrige Steuer für alle
Steuermodelle, die etwa Familienbetriebe und Immobilien ausnehmen, schaffen nur neue Ungerechtigkeiten. Und Vermögensgrenzen, ab denen eine Steuer greift, tun nichts, um die Kritik der ÖVP zu zerstreuen.
Ein besseres Modell wäre jenes, über das ich schon früher geschrieben habe: eine sehr niedrige Steuer auf möglichst alle Erbschaften und Schenkungen. Niedrig, damit die Substanz nur wenig leidet, und auf alle geerbten oder geschenkten Vermögen (also ohne Untergrenze), damit dennoch Geld hereinkommt.
Über die Höhe kann man dann verhandeln: es können zehn Prozent auf alle Erbschaften sein; oder fünf Prozent für Ehepartner und Kinder und zehn Prozent für alle anderen (damit keine steuerlichen Anreizen geboten werden, direkt an die Enkel zu vererben); oder zwei Steuerklassen mit 7,5 Prozent und 15 Prozent.
Wer Erben als Vermögenszuwachs sieht, für den ist das vor allem bei großen Vermögen viel zu wenig. Wer Erbschafts- als Substanzsteuer betrachtet, ist es zu viel. Aber gerade das macht es politisch attraktiv. (Eric Frey, derStandard.at. 21.1.2015)