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Ein Elternteil holt das Kind vom Kindergarten oder von der Schule ab und setzt sich mit ihm ins Ausland ab – davon hört man immer wieder. Laut Experten könnten solche Fälle eigentlich verhindert werden.

Foto: AP / Martin Meissner

Wien – Es ist noch nicht lange her, da habe sich eine Frau verzweifelt an die autonomen österreichischen Frauenhäuser gewandt, erinnert sich deren Geschäftsführerin Maria Rösslhumer: Sie schilderte dem Verein, dass sie Österreicherin ist, mit einem Ägypter verheiratet war und mit ihm auch ein gemeinsames Kind hat. Aufgrund von Gewaltübergriffen des Mannes habe sie die alleinige Obsorge beantragt. Doch noch bevor das Verfahren abgeschlossen war, sei der Vater eines Tages zum Kindergarten gefahren, habe das Kind mit in seine Heimat genommen – und sei dann einfach nicht mehr zurückgekehrt.

Im Recht und machtlos

Kindesentziehungen – wie Juristen sagen – durch Vater oder Mutter sind keine Seltenheit. Deshalb gibt es mehrere Rechtsquellen, die internationale Obsorgestreite regeln – und durch die eindeutig geklärt ist: Zieht ein Elternteil, der nicht das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht hat, mit dem Kind ins Ausland, ist das Entführung. Über die Obsorge haben die Gerichte jenes Landes zu entscheiden, in dem das Kind seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" hat, also wo es zuvor lebte. Das Problem: In einigen Ländern, in die Kinder aus Österreich regelmäßig entführt werden, gelten diese Abkommen nicht.

In Dänemark etwa die Brüssel-IIa-Verordnung, was für die medial ausgetragenen Rechtswirren im sogenannten "Fall Oliver" sorgte. Darüber hinaus sind inzwischen zwar rund hundert Länder weltweit Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über internationale Kindesentführung (HKÜ), das eine unverzügliche Rückführung möglich macht. Aber nicht alle: zum Beispiel Ägypten.

Privater Detektiv engagiert

Den oben geschilderten Fall leitete der Verein autonomer Frauenhäuser sofort an das Jugendamt weiter. Es wurden das Gewaltschutzzentrum, die Polizei, Interpol sowie sämtliche Konsulate und Botschaften eingeschaltet, ein renommierter Anwalt wurde bezahlt – doch Kind und Vater konnten nicht gefunden werden. "Erst mithilfe einer privaten Detektivfirma ist es gelungen, das Kind zurückzubekommen", sagt Rösslhumer. "Die ganze Geschichte hat Monate gedauert, viel Geld und noch mehr Nerven gekostet."

"Ich habe jährlich mit circa fünf Fällen zu tun, bei denen Kinder vom Vater in Nicht-HKÜ-Staaten entführt werden. Die Frauen sind im Recht, aber völlig machtlos", sagt Monika Pinterits, Kinder- und Jugendanwältin von Wien. "Fast immer haben die Frauen bereits vor der Entführung Befürchtungen geäußert, doch die Männer wissen sich vor Gericht zu inszenieren. Und sobald sie das Kind zum ersten Mal unbegleitet sehen dürfen, sind sie weg."

Pinterits fordert, dass Österreich mit Staaten, die nicht Teil der Übereinkommen sind, in Verhandlungen tritt und gesonderte Vereinbarungen trifft. Sie rechnet mit einer hohen Dunkelziffer an Fällen, die die Kinder- und Jugendanwaltschaft gar nicht erreichen. Der Sprecher von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) war zu keiner Stellungnahme bereit.

Keine Ausreisebewilligung

Demnächst soll eine Novelle beschlossen werden, damit die Passbehörde künftig darüber informiert wird, wenn einem Kind durch gerichtliche Anordnung der Pass entzogen wurde. Denn bisher könnte der entführende Elternteil einfach angeben, dass das Reisedokument gestohlen wurde, und würde ein neues bekommen.

Rösslhumer reicht das nicht: "Wenn eine Frau bei offizieller Stelle bekanntgibt, dass der Vater droht, das Kind entführen zu wollen, sollte diesem sofort die Ausreise verweigert werden – und auf keinen Fall darf er dann die alleinige Obsorge bekommen. Das muss endlich gesetzlich verankert werden." (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 23.2.2015)