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Gut ausgeleuchtet: Türkische Soldaten nahmen in den frühen Morgenstunden von Sonntag Besitz von einem Areal im Distrikt Esme nordöstlich von Aleppo und unweit der türkischen Grenze.

Foto: EPA / Anadolu Agency / Okan Ozer

Ankara/Athen – Vor einem Jahr war es noch ein Gedankenspiel, eine weitgehend konfuse Diskussion im Büro des damaligen Außenministers und heutigen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit den Spitzen von Militär und Geheimdienst; abgehört und in Umlauf gebracht von einem Insider im Ministerium in Ankara. In der Nacht zum Sonntag aber hat die Regierung ernst gemacht: Mit 100 Panzerfahrzeugen und 572 Soldaten, so gab Davutoglu am Sonntag bekannt, rollte die türkische Armee in Syrien ein, befreite die Wachsoldaten eines türkischen Mausoleums aus der Belagerung durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) und brachte sie samt Sarkophag zurück.

Das Mausoleum ist eine völkerrechtliche Besonderheit: Ein Vertrag von 1921 mit der damaligen französischen Protektoratsmacht in Syrien garantiert der Türkei den Zugang zum Grabmal von Süleyman Shah, dem Großvater von Osman I., dem Begründer des Osmanischen Reichs. 38 türkische Soldaten hielten dort zuletzt Wache.

Tödlicher Unfall

Sie sollen seit fast einem Jahr nicht mehr abgelöst worden sein, weil die IS das Areal um das Grabmal am Euphrat, 37 Kilometer im Landesinneren von Syrien, besetzt hält. Die Wachsoldaten sollen von der IS versorgt worden sein, berichtete ein türkischer Journalist. Innenminister Efka Kala wies all dies noch vergangene Woche als gegenstandslos zurück.

Ein türkischer Soldat kam bei der nächtlichen Militäroperation durch einen Unfall ums Leben, gab der türkische Regierungschef an. Parallel zur Rückholung der Wachsoldaten und des Sarkophags von Süleyman Shah, der demnach in einer feierlichen Zeremonie aus dem Mausoleum geholt wurde, besetzte die türkische Armee einen Flecken auf syrischem Gebiet in Esme, nach offiziellen Angaben rund 200 Meter entfernt von der Grenze zur Türkei und dem Distrikt Birecik. Dort soll das neue Mausoleum des Osman-Großvaters gebaut werden.

Inszenierung à la Iwojima

Die Regierung in Ankara verbreitete am Sonntag ein Foto, das drei Soldaten zeigt, die in den Morgenstunden desselben Tages einen Mast mit der türkischen Fahne im Distrikt Esme aufrichten. Das Bild ahmt offensichtlich die Eroberung von Iwojima durch die USA im Zweiten Weltkrieg nach; damals hissten fünf US-Soldaten auf dem Berg Suribachi die US-Fahne.

Die patriotische Inszenierung gab Spekulationen Auftrieb, die Regierung habe die Militäroperation in Syrien durchgeführt, um die Öffentlichkeit von der zeitgleich sehr kontrovers geführten Debatte im Parlament in Ankara über die neuen Sicherheitsgesetze abzulenken.

Möglich ist auch, dass die türkische Regierung einer Rückeroberung des Areals um das Mausoleum durch die Truppen der syrischen Regierung von Bashar al-Assad zuvorkommen wollte.

Debatte um Mausoleum

Bei der abgehörten Diskussion im türkischen Außenministerium im März 2014 ging es darum, wie die Türkei auf einen Angriff auf die Wachsoldaten durch die IS reagieren sollte. Erwogen wurde offenbar auch, ob Geheimdienst oder Armee einen Zwischenfall beim Mausoleum inszenieren sollten, der der Türkei Anlass für ein militärisches Eingreifen im syrischen Bürgerkrieg liefern würde. Ankara drängt seit langem auf einen Sturz Assads und die Einrichtung einer militärisch kontrollierten "Sicherheitszone", in der ein Teil der syrischen Flüchtlinge untergebracht werden soll, der derzeit in der Türkei lebt.

Es war nach Ende der sogenannten Shah-Euphrat-Mission am Sonntag nicht absehbar, ob sich Ankara damit auch den Weg für den Aufbau einer solchen Zone freihalten wollte. (Markus Bernath, DER STANDARD, 23.2.2015)