
Sylvie Guillem beim Forsythe-Abend in St. Pölten.
Wien / St. Pölten - Natürlich war Sylvie Guillem der Star des eindrucksvollen William-Forsythe-Ballettabends im Festspielhaus St. Pölten. Entsprechend begeistert zeigte sich das Publikum von dem Duett Rearray, das sie zusammen mit Massimo Murru getanzt hat. Trotzdem wäre es gut gewesen, auch den Namen des Choreografen auf die Titelseite des Programmhefts zu drucken.
Der in Deutschland arbeitende New Yorker William Forsythe, 65, gilt als einer der bedeutendsten Ballettchoreografen des 20. Jahrhunderts und ist in einem Atemzug mit Vaclav Nijinsky und George Balanchine zu nennen. Guillem, die am Mittwoch 50 wird, kann sich schon lange selbst aussuchen, was sie wo mit wem tanzen möchte. Sie ist der Beweis dafür, dass die üblichen Altersgrenzen im Ballett nicht zwingend gelten müssen. Die Tänzerinnen und Tänzer des Ballet de l'Opéra de Lyon sind nicht auf Forsythes herausfordernde Technik spezialisiert. Das wurde zu Beginn des ersten Stücks an diesem Abend, Workwithinwork deutlich. Doch im Verlauf der sehr klaren Bewegungskomposition wuchs die zwanzigköpfige Gruppe wie in wundersamer Wandlung noch über sich hinaus. Und bei dem spritzigen letzten Teil mit dem Titel One Flat Thing, reproduced, in dem die bunt gekleideten Frauen und Männer auf, zwischen und unter zahlreichen Tischen tanzen, konnte sie souverän überzeugen.
Die durchdachte Art
Das ist dem Tänzer und Choreografen Ian Kaler, der seine künstlerische Laufbahn als Frau begonnen und gerade das Geschlecht gewechselt hat, ebenfalls gelungen: mit der Uraufführung seines Solostücks o.T. | (the emotionality of the jaw), ebenfalls am Wochenende, im Tanzquartier Wien. Überzeugend ist Kaler, 32, nicht nur wegen seiner bis ins Letzte durchdachten Art, eine Verbindung zwischen Clubkultur und zeitgenössischer Choreografie herzustellen. Sondern auch, weil diese Arbeit weder die Naivität im Tanz der Nullerjahre fortsetzt noch den Konzeptualismus der Neunziger imitiert oder eine Rückwendung in die Eighties erkennen lässt. Ebenso vermeidet Ian Kaler Queer-Deko oder Porno-Anleihen. Sein Gender-Shift öffnet den Blick auf einen coolen Aspekt in der Neuorientierung der Geschlechterverständnisse.
Mit o.T. | (the emotionality of the jaw) ist die zeitgenössische Choreografie in den heutigen Zehnerjahren angekommen - als tänzerisches Stück und nicht mehr als Bewegungsperformance. Diese Ankunft passiert in einem von Stephanie Rauch toll gestalteten Raum: ein architektonischer Dialog mit der Black Box innerhalb der normiert schwarzen Bühne. Mit Kaler stehen die Musikerinnen und Musiker Jam Rostron und Houeida Hedfi in der meisterhaft sinistren, von Jan Maertens verantworteten Lichtkomposition.
Forsythe ist auch - seine Black Flags waren gerade in Dresden zu sehen - für seine Installationskunst bekannt. Kaler lässt deutlich erkennen, dass er (an der Wiener Angewandten) Transmediale Kunst studiert hat. Altersunterschied und verschiedene Ansätze hin oder her: Die beiden sind einander verblüffend nah. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 23.2.2015)