Generalthema der aktuellen Apothekerkammer-Fortbildungswoche sind die Nierenerkrankungen.

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2012 gab es in Österreich 8.655 Menschen, die auf lebensrettende Dialyse wegen Nierenversagens angewiesen waren oder mit einer transplantierten Niere lebten. Die Zahl der Patienten mit chronischem Nierenversagen dürfte künftig noch steigen. Hypertonie, Diabetes und Adipositas sind "Nieren-Killer", hieß es Montagabend bei der Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer in Schladming.

An der Tagung (bis 26. Februar) nehmen rund 700 Apotheker teil. In diesem Jahr steht das Generalthema der Nierenerkrankungen in Zusammenhang mit Medikationsmanagement im Mittelpunkt.

Spenderniere: Drei Jahre Wartezeit

An der "Spitze des Eisbergs" der Nierenkranken befinden sich jene Personen, bei denen die Organe endgültig ihren Filtrations- und Entgiftungsdienst aufgegeben haben. Im Jahr 2012 waren exakt 4.290 Personen an der Dialyse (Hämodialyse und Bauchfelldialyse) und 4.365 Menschen mit transplantierten Nieren. Die Wartezeit auf ein Spenderorgan beträgt in Österreich rund drei Jahre, in Deutschland sind es gar acht Jahre.

Die im österreichischen Dialyse- und Transplantationsregister enthaltenen Zahlen geben einen deutlichen Hinweis auf die Hauptrisikofaktoren. Typ-2-Diabetiker und Hypertoniker machen allein schon rund 50 Prozent der Patienten mit Nierenersatztherapie aus. "Der Anteil der Diabetiker ist etwas zurückgegangen. Es kommen seit 2007 in Österreich weniger Diabetiker zur Dialyse. Die Babyboomer, die nachwachsen, und Adipositas werden den Trend aber deutlich erhöhen", sagt Alexander Rosenkranz von der Klinischen Abteilung für Nephrologie der MedUni Wien.

Dabei wäre es relativ einfach, diese Entwicklung zu beeinflussen. "In Österreich haben rund 2,4 Millionen Menschen eine Hypertonie. 1,2 Millionen Betroffene wissen davon. 800.000 haben ein Rezept auf ein Blutdruckmedikament bekommen." Aber nur 80.000 Hypertoniker seien ausreichend behandelt.

Mehr ACE-Hemmer

Was in den vergangenen Jahren – neben des Umstandes, dass eher geburtenschwache Jahrgänge in jene Altersgruppen gekommen sind, in denen sich vorher "stumme" Nierenschäden schließlich äußern – den nunmehr erwarteten Anstieg der Zahl der Dialysepatienten zunächst gebremst hat: Immer mehr Patienten erhielten Arzneimittel mit Nieren-schützender Wirkung (ACE-Hemmer; Angiotensinrezeptor-Blocker).

Andererseits gibt es einen Trend, die Nierenersatztherapie erst später im Verlauf der Erkrankung zu beginnen. Laut Rosenkranz zeigte sich nämlich kein Unterschied bei den Überlebensraten bei früher bzw. später Nierenersatztherapie (Dialyse).

Doch die demografische Entwicklung und die Entwicklung des durchschnittlichen Körpergewichts in den westlichen Industriestaaten dürfte diese Dämpfungseffekte bald zumindest egalisieren. "Mehr als 40 Prozent der Menschen über 70 Jahre haben eine eingeschränkte Nierenfunktion. In Deutschland ist bereits ein Viertel der Bevölkerung und ein Drittel der Kinder adipös", so Rosenkranz.

Problem Übergewicht

Wie sehr die wachsende Körperfülle der Menschen in der westlichen Industriegesellschaft für einen Zuwachs an chronisch Nierenkranken sorgt, zeigt sich zum Beispiel in den USA: Dort steigt die Zahl der Personen mit terminalem Nierenversagen schon seit Jahren ständig an. Das sei ein Vorbote der auch für Österreich zu erwartenden Entwicklung, hieß es bei der Apothekertagung.

In Österreich ist der Einfluss des Trios von Hypertonie, Diabetes und Adipositas in groben Umrissen auch regional abzulesen. Der Österreich-Durchschnitt (alle Daten aus dem Jahr 2012) läuft auf 140,1 neue Dialysepatienten pro Jahr und Million Einwohner hinaus. Dabei zeigt sich aber ein deutlicher Konnex mit dem durchschnittlichen Körpergewicht (BMI) bzw. den Diabetes-Raten mit dem West-Ost-Gefälle in Österreich.

Für den Grazer Nephrologen Alexander Rosenkranz wäre die Umsetzung eines bereits von den österreichischen Nierenspezialisten ausgearbeiteten Betreuungsprogrammes für Menschen mit chronischen Nierenschäden – "60/20" – entscheidend für die künftige Entwicklung.

"60/20"-Programm

"Man muss nicht alle Menschen auf Nierenschäden screenen", sagte er. Doch Risikopersonen sollten möglichst früh entdeckt werden, um bei ihnen die "stumme" Entwicklung der Erkrankung so weit zu bremsen, dass es nicht oder erst sehr spät zum Nierenversagen kommt.

"Menschen mit nur noch 60-prozentiger Nierenfunktionsrate sollten gescreent werden. Man muss die Hochrisikopatienten identifizieren", sagte der Spezialist. Ab einer nur noch verbleibenden Nierenfunktionsrate von 20 Prozent sollte dann intensiv und mit allen möglichen Mitteln behandelt werden.

Immerhin hätten zehn bis 13 Prozent der Bevölkerung eine Nierenfunktionsrate von weniger als 60 Prozent. Bei diesem Stadium beginnt die Häufigkeit hoch gefährlicher Herz-Kreislauf-Krankheiten dramatisch zu steigen. Männer sind wesentlich stärker bedroht als die Frauen.

Wenig wissenschaftliche Basis haben laut dem Feldkircher Nephrologen Karl Lhotta die von der Industrie mitbetriebenen Lifestyle-Trink-Kampagnen und die auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagierte Salzkonsum-Restriktion, letztere vor allem zur Bekämpfung der Hypertonie.

Salzkonsum nicht ausschlaggebend

Die Nieren hätten als primäre Aufgabe, das arterielle Blutvolumen aufrechtzuerhalten. Und da der Mensch in seiner evolutionären Entwicklung zumeist niemals davon ausgehen konnte, eine kontinuierliche Flüssigkeitszufuhr zu haben, könnten sie sehr breit mit unterschiedlichen Bedingungen – zu wenig Flüssigkeitszufuhr, mehr oder weniger Bedarf – zurechtkommen. "Sie schaffen eine Flüssigkeitszufuhr von einem halben Liter pro Tag genauso wie eine Zufuhr von zwölf Litern", sagt Lhotta.

Ähnlich ist laut dem Experten die Situation bei der vor allem gegen den Bluthochdruck propagierten Salzreduktion in der Ernährung. Angestrebt wird hier ein Konsum von höchstens fünf bis sechs Gramm Kochsalz pro Tag (zwei bis drei Gramm Natriumchlorid). "Ist das wirklich klug?", fragte der Vorarlberger Fachmann.

Beobachtungen hätten nämlich gezeigt, dass die Sterblichkeit von Menschen mit niedriger Salzaufnahme höher sei. Bei einem Konsum von sechs bis acht Gramm Kochsalz sei sie am niedrigsten. Und das entspreche derzeit "österreichischer Kost", die nicht als besonders gesund angesehen wird. (APA, derStandard.at, 23.2.2015)