Das Googeln von Krankheiten im Internet kann die Rat- und Rastlosigkeit von eingebildeten Kranken weiter verschlimmern.

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Mehr als jeder dritte Österreicher hat schon einmal eine persönliche Gesundheitsfrage im Internet recherchiert. Das zeigt eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts IMAS. Durch diese Entwicklung verändert sich auch das Verhältnis von Arzt und Patient.

Anders als mitunter befürchtet allerdings sehr häufig zum Besseren, wie die Forschung zu diesem noch sehr jungen Thema zeigt. Wichtig ist es jedenfalls, trotz aller Vorabrecherchen zur Abklärung einen richtigen Arzt und nicht "Dr. Google" zu konsultieren - darauf weist auch die flämische Regierung in einem dramatischen Video hin.

Beiderseitiger Nutzen

"Das Internet ist für Patienten deswegen so attraktiv, weil es eine Fülle an Information in ansprechender Form aufbereitet - und diese ständig aktualisiert wird, was gerade im Medizinbereich natürlich entscheidend ist", sagt Ulrike Felt, Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung an der Uni Wien, die sich schon lange mit diesem Thema beschäftigt.

Früher hatten Laien kaum Zugang zu verständlichen Informationen über Krankheiten - man musste sich dem Arzt anvertrauen, konnte höchstens noch eine zweite und dritte Meinung einholen. Bei einer einfachen Verkühlung hat man das in der Regel nicht gemacht.

Gespräch auf Augenhöhe

Heute ist das dank Google, Netdoktor & Co. einfacher denn je. Und es überwiegen die positiven Effekte, berichtet Felt: Weil die Patienten so gut informiert sind wie nie zuvor, ist das Arztgespräch nicht länger eine Einbahnstraße, sondern zunehmend ein Gespräch auf Augenhöhe. 15 Prozent der Befragten gaben in der IMAS-Studie an, das Internet "intensiv" zur Recherche über medizinische Belange zu nutzen.

Mit Abstand am häufigsten (60 Prozent) werden dennoch zuerst Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte konsultiert. Was Felt sogar überrascht hat, ihre Ergebnisse aber zeigen: "Der Arzt wird durch die Internetrecherche nicht hinterfragt, sondern unter Umständen sogar noch ernster genommen." Davon würden beide Seiten profitieren, denn oft gebe es durch die "Zusammenarbeit" von Dr. Google und echtem Arzt sogar eine höhere Compliance, also ein stärkeres Befolgen der verordneten Therapiemaßnahmen.

Weitere Abklärung

In einer Untersuchung mit mehr als 600 Patienten haben Felt und ihre Kollegen bei vielen ein "arbeitsteiliges" Verhalten beobachtet. Diese Patienten haben sich schon vorab in eine bestimmte Richtung informiert, wenden sich für die weitere Abklärung aber nach wie vor an ihren Arzt, dem sie im Zweifel auch eher Glauben schenken als dem Internet.

Dann gebe es allerdings auch jene Patienten, die den Arzt kontrollieren wollen. Das sei zahlenmäßig die kleinste Gruppe, so Felt, und auch nicht weiter gefährlich: Solange diese Menschen immer noch zum Arzt gehen und eine wichtige Untersuchung oder ihre Therapie nicht aufschieben, sei das nicht weiter schlimm. Erst wenn sie Falschinformationen aufsitzen und keine Expertenmeinung einholen, könne es problematisch werden.

Gefährliche Cyberchondrie

Auch andere Gefahren bringt Dr. Google mit sich: etwa das neue Phänomen der Cyberchondrie, eine Form der Hypochondrie, die durch das Internet verursacht und häufig verschlimmert wird. Oft wird nach sehr unspezifischen Symptomen wie Kopfweh gegoogelt, die bei sehr vielen Erkrankungen auftreten können - nicht immer muss aber gleich ein Hirntumor dahinterstecken. Die zugrunde liegenden Sorgen muss der Arzt trotzdem ernst nehmen.

Außerdem überfordert die Masse an Information nicht wenige, wie Felt berichtet: "Ein Großteil der Patienten tut sich schwer, mit der enormen Fülle an Information richtig umzugehen. Man muss sich selbst sehr aktiv um Auswahl und Interpretation kümmern, was viele einfach nie gelernt haben."

Digital Divide

Den "Digital Divide", also die unterschiedliche Nutzung des Internets, gibt es auch im Medizinbereich: Es sind tendenziell Junge und höher Gebildete, die sich an Dr. Google wenden. Auch wenn diese "digitale Kluft" langsam kleiner wird: Über den richtigen Umgang damit können fast alle noch etwas lernen, sagt Felt. So benutzen 90 Prozent der Befragten ausschließlich Google zur Recherche, die meisten auch nur die erste Seite an Suchergebnissen. Die bestgereihten Ergebnisse müssen aber nicht immer die brauchbarsten sein.

Aber nicht nur Bildung und Alter, sondern auch das jeweilige Gesundheitssystem spielt eine große Rolle: So wartet man etwa in Großbritannien deutlich länger auf einen Termin beim Facharzt als hierzulande. Und anders als in Österreich kann man diesen auch nicht ohne weiteres wechseln - eine zweite Meinung einzuholen wird dadurch schwieriger. Deshalb ist das Googeln von Krankheiten bei Briten deutlich weiter verbreitet - etwa jeder Zweite macht es, oft in der Hoffnung, sich den Arztbesuch ganz sparen zu können.

Neue Studie

Auch E-Learning-Experte Michael Kopp von der Uni Graz beschäftigt sich mit den Folgen für die Arzt-Patient-Beziehung. "Manche Patienten erstellen selbst ihre Diagnose und gehen nur mehr zum Arzt, um ihr Rezept zu bekommen", sagt Kopp. Das darauffolgende Patientengespräch sei dann oft zeitaufwändiger als eine reguläre Untersuchung mit Diagnose.

Er arbeitet derzeit gemeinsam mit Soziologen, Medizinethikern und Ärzten an einer neuen Studie mithilfe eines Massive Open Online Course, in dem Patienten anhand von schematischen Bildern und Sequenzen bestimmte Symptome sehen und daraufhin eine Diagnose finden sollen. "Etwa so wie Dr. House, nur eben im Internet", sagt Kopp. Der Kurs soll im Herbst starten, erste Ergebnisse dürfte es 2016 geben.

Mögliche Alternativen

Um sich nicht restlos von Google und dessen Suchalgorithmus abhängig zu machen, verweist Felt auf das Gesundheitssiegel HON (Health On Net), das sich seit zwölf Jahren auf die Zertifizierung von Medizinwebsites spezialisiert. Auch offizielle Websites von Gesundheitsministerium und Versicherungsträgern könnten helfen, sich über bestimmte Krankheiten gezielt zu informieren.

Aber es gibt auch gute Alternativen zu Dr. Google. Etwa die dänische Plattform "Find Zebra", ein kostenloses Web-Lexikon, das sich an Patienten mit seltenen Erkrankungen richtet. Für Menschen mit seltenen oder besonders therapieresistenten Erkrankungen bietet sich auch Crowdmed an: Dort können die User ihre gesamte Krankengeschichte und die Befunde online stellen.

Medical Detectives

Für einen Betrag zwischen 99 und 500 US-Dollar, je nach Package, wird der Patientenakt dann an mehrere "Medical Detectives", medizinische Ermittler wie Ärzte oder auch selbst betroffene Patienten, weitergeleitet – in der Hoffnung, dass mehrere Meinungen zu einem besseren Ergebnis führen. Die Qualität der Diagnosen möchte Crowdmed durch ein Punktesystem sichern.

Inwieweit diese neuen Dienste und Dr. Google die Arzt-Patienten-Beziehung weiter verändern werden, kann derzeit noch niemand sicher sagen. Im besten Fall profitieren aber beide Seiten davon. (Florian Bayer, derStandard.at, 25.2.2015)