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Seit Herbst spüren Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und seine Partei Fidesz recht kräftigen Gegenwind. Seine Politik stößt auf immer weniger Zustimmung.

Foto: EPA / Julien Warnard

Mit einem Vorsprung von neun Prozentpunkten gewann Oppositionskandidat Zoltán Kész die Nachwahl im westungarischen Veszprém am Sonntag deutlicher als erwartet. Zur Niederlage des von der Regierungspartei Fidesz ins Rennen geschickten Veszprémer Vizebürgermeisters Lajos Némedi gesellte sich der Verlust der Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Die Vollmacht für Verfassungsänderungen, von denen Ministerpräsident Viktor Orbán ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, hing nämlich seit der letzten Wahl im Vorjahr an einem einzigen Mandat. Und dieses ist nun weg.

"Die Bürger von Veszprém und Umgebung haben den Wunsch des ganzen Landes erfüllt: Die Zweidrittelherrschaft der Fidesz ist zu Ende!", erklärte Kész am späten Sonntagabend vor jubelnden Oppositionsanhängern.

Forderung nach Kurswechsel

In der Fidesz machte sich unterdessen Krisenstimmung breit. Orbán verdonnerte das Parteipräsidium am Montag zu einer außerordentlichen Sitzung. Einige Gefolgsleute des Regierungschefs forderten einen Kurswechsel und personelle Veränderungen im Kabinett.

Der 41-jährige Englischlehrer und Sportreporter Kész gehört keiner Partei an. Seine politische Laufbahn begann er vor zehn Jahren in der Fidesz-Jugendorganisation Fidelitas. Dort hielt es ihn aber nicht lange, weil ihn, wie er heute sagt, "nicht so sehr der parteipolitische Streit als vielmehr das konstruktive Miteinander" interessiert habe. Im Herbst 2014 organisierte er eine Demo gegen die Orbán-Regierung. In die sonst beschauliche Kleinstadt Veszprém kamen über 500 Menschen.

Die Kandidatur von Kész unterstützten linke und liberale Oppositionsparteien, darunter die Sozialistische Partei (MSZP), die Demokratische Koalition (DK) von Expremier Ferenc Gyurcsány und die linksliberale Partei Gemeinsam 2014. Kész beharrte auf seinem parteilosen Status. Auch als Abgeordneter wird er sich keiner der Oppositionsfraktionen anschließen.

Schlag ins Gesicht

Für Orbáns Fidesz sind die deutliche Niederlage und der Verlust der Zweidrittelmehrheit ein Schlag ins Gesicht. Korruptionsskandale, schlechte Ideen wie die Internetsteuer, angedachte Drogenzwangstests für Jugendliche, der Streit Orbáns mit Medienzar Lajos Simicska sowie die Anlehnung an Wladimir Putin haben viele Wähler vergrault. Schon Ende 2014 stellten Meinungsforscher fest, dass die Orbán-Partei 900.000 von 2,1 Millionen Wählern verloren hat.

Doch zugleich vermochte die Opposition daraus noch keinen Nutzen zu ziehen. Die Detailanalyse des Veszprémer Ergebnisses zeigt, dass die Oppositionsanhänger, für die der parteiferne Kész ein mehr als akzeptabler Kandidat war, nicht wirklich zahlreicher wurden und dass vielmehr die Hälfte der Fidesz-Wähler einfach zu Hause blieb.

In der Orbán-Partei fragt man sich nun, ob man diese Menschen für immer verloren hat. Exminister Tibor Navracsics hatte das Veszprémer Mandat im Vorjahr noch mit einem Vorsprung von 20 Prozentpunkten gewonnen. Er musste es niederlegen, weil ihn Orbán als EU-Kommissar nach Brüssel schickte. Im fidesznahen Hír TV zeigte sich Navracsics geschockt: "Die Partei braucht eine neue Strategie." Der Politiker gilt als gemäßigte Stimme in der Partei. Neulich hatte er in einem Hintergrundgespräch mit ungarischen Journalisten in Brüssel darüber geklagt, dass "meine (bürgerliche) Werteordnung in der Fidesz leider eine marginale Subkultur geblieben ist".

Ministertausch möglich

Auch die regierungsnahe Magyar Nemzet verlangte am Montag von Orbán einen Kurswechsel und Personaländerungen. Medien in Budapest spekulieren, dass Orbán seinen prorussischen Außenminister Péter Szijjártó feuern und durch einen prowestlichen Politiker ersetzen könnte.

Szijjártó gilt als Orbán-Schöpfung. Er wäre ein Bauernopfer, mit dem Orbán einen Kurswechsel in seiner in EU und Nato argwöhnisch beäugten Außenpolitik einleiten könnte. Zugleich wäre es aber ein untypischer Schachzug, denn an seinen loyalen Mitstreitern pflegt der Machtpolitiker Orbán festzuhalten. (Gregor Mayer aus Budapest, DER STANDARD, 25.2.2015)