Aus Sicht Viktor Orbáns sind die Wähler von Veszprém extrem undankbar. Ungarns Wirtschaft wächst so rasant wie seit 2006 nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit ist zuletzt so schnell gesunken wie in kaum einem anderen EU-Land. Nachdem sie lange zweistellig war, beträgt die Arbeitslosenquote nur noch 7,2 Prozent. Damit steht Ungarn besser da als Schweden und Finnland. Das lästige Thema Fremdwährungskredite wurde gelöst: Die Frankendarlehen im Land werden konvertiert.

Und was machen die Wähler von Veszprém? Sie strafen Orbán ab und bringen die Regierungspartei Fidesz um ihre Zweidrittelmehrheit. Dabei war es nach Lesart der Fidesz die unorthodoxe Wirtschaftspolitik Orbáns, die den Aufschwung ermöglicht hat.

Tatsächlich hat die Fidesz seit ihrem fulminanten Wahlsieg 2010 Ungarn wirtschaftspolitisch gehörig umgekrempelt. Ausländische Multis, besonders Banken, wurden mit Sondersteuern belegt. Die Regierung hat sich in den Energiesektor eingekauft und einige Wiederverstaatlichungen (Pensionskassen) durchgeführt. Juristisch hochumstritten waren vor allem rückwirkende Eingriffe in Verträge, etwa im Finanzsektor.

Die Agilität bleibt

Die Kampfrhetorik gegenüber ausländischen Banken und das Versprechen, die liberale Wirtschaftspolitik der Vergangenheit zu beenden, war lange einer der größten Trümpfe der Fidesz. Was vielen Ungarn an Orbán gefiel, war das neue Selbstbewusstsein, das er ausstrahlte. Seht her, wir verstecken uns nicht vor ausländischen Multis, so die Botschaft.

Ob die Niederlage in Veszprém ein Ausrutscher war oder der Trumpf nicht mehr sticht, bleibt abzuwarten. An Orbáns Agilität dürfte sich nichts ändern. Die meisten Fidesz-Wirtschaftsreformen bedurften nur der einfachen Mehrheit, die Orbán weiterhin hat.

Für Orbán spricht, dass seine Regierung Erfolge vorweisen kann. So hat die Fidesz einige haarsträubende Praktiken beendet. Ein Beispiel dafür kommt aus dem Kreditsektor. Banken konnten ihren Kunden Zins- und Gebührenerhöhungen lange Zeit fast willkürlich aufhalsen. Diese Wildwestmanier wurde beendet. Dabei hat Orbán sich abgesichert und den Krach mit dem Finanzsektor nicht voll eskalieren lassen, wovon der Einstieg des Staates bei der Erste Hungary zeugt. Als Erfolg gilt auch, dass die Regierung eine Reihe von Industriebetrieben mit Förderungen dazu ermuntern konnte, ihre Präsenz im Land auszubauen. So haben Mercedes und Audi ihre Produktion erweitert.

Oligarchen als Profiteure

Die Kehrseite der Medaille ist neben der juristisch oft fragwürdigen Vorgehensweise, dass die Wirtschaftspolitik der Fidesz vor allem auf Klientelismus beruht, wie es der ungarische Ökonom János Kornai in einer Analyse schreibt. Von staatlichen Aufträgen würden nur Fidesz-Oligarchen profitieren, schreibt Kornai. Bestes Beispiel dafür war die Neuvergabe tausender Trafiklizenzen 2013. Zum Zug seien dabei fast nur der Fidesz nahestehende Unternehmer gekommen.

Ob der Aufschwung im Land nachhaltig ist, bleibt auch fraglich. Sandor Richter vom Osteuropainstitut WIIW in Wien glaubt nicht daran. Für den aktuellen Miniboom seien vor allem üppige EU-Förderungen verantwortlich. Ungarn konnte 2014 bisher liegengelassene EU-Gelder im Rekordausmaß nutzen. Heuer werde diese Quelle wieder versiegen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 24.2.2015)