Bei Deleuze ist die Falte ein Mittel, neue Perspektiven hervorzubringen. Auch in der Kunst von Caroline Heider spielt sie eine große Rolle: Diesmal sollen ihre Knicke den Avantgarde-Modefotografien von Edward Steichen Raum und Körper verleihen.

Foto: Caroline Heider © Bildrecht, Wien

"Vogue", Juli 1932, Covermotiv von Edward Steichen.

Foto: Condé Nast Publications

Marlene Dietrich, 1934.


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Foto: Condé Nast Publications

Wien – "Alle zehn Jahre sollte sich ein Mann einen ordentlichen Tritt in den Hintern versetzen", ist ein Bonmot von Edward Steichen überliefert. Und vielleicht ist es diese akrobatische Form der Selbstkritik, die Steichen zu einem der größten Fotografen des 20. Jahrhunderts werden ließ.

1922 war so ein Wendepunkt in seiner Karriere, ein Moment der Neuerfindung: Steichen war 43 Jahre alt, frisch geschieden, alimentepflichtig, verschuldet; obendrein verblasste langsam der Ruhm des großen Piktorialisten, der diese malerisch verstandene Fotografie in die USA exportiert hatte. Eine veritable Krise also, in der sich Steichen obendrein eingestand, dass er als Maler weder auf der Höhe der Zeit angelangt war noch jemals wirkliche Tiefe erlangen würde. Bitter, denn 20 Jahre zuvor hatte er noch selbstbewusst gegenüber einem Journalisten behauptet, die Fotografie sei nur "Nebensache", in erster Linie sei er Maler. Und nun beschloss er tatsächlich, die Malerei zugunsten der Fotografie aufzugeben.

Holz- und erste Klasse

Als er Europa, sein Haus in Voulangis, 50 Kilometer östlich von Paris, verließ und in Le Havre nach New York einschiffte – Holzklasse –, liebäugelte Steichen sogar etwas mit der vielversprechenden Option Film. Es kam anders. Nur zwei Monate später sollte er nach Frankreich, genauer nach Paris, zurückreisen – diesmal allerdings in der ersten Klasse und als bestbezahlter Fotograf seiner Zeit: als Artdirector der Condé-Nast-Magazine "Vanity Fair" und "Vogue".

Wie war es zu dieser schicksalhaften Wendung gekommen? Frisch in New York eingetroffen, blätterte Steichen in einer Ausgabe der "Vanity Fair" und stieß tatsächlich auf seinen Namen: Als "konkurrenzlosen Meister" lobte ihn der Autor und bedauerte gleichzeitig, Steichen habe die Fotografie für die Malerei aufgegeben. Das galt es richtigzustellen. Was folgte, war ein Happyend beim Lunch mit Herausgeber Condé Nast persönlich und eines dieser Angebote, die man nicht ablehnen kann.

Es folgten 15 Jahre, in denen Steichen – seinem Auftrag entsprechend – die Modefotografie revolutionierte, denn die Fashion-Gazetten jener Tage waren noch von der Modeillustration dominiert, erst in den 1950ern sollte sich das Verhältnis verkehren. In rund 200 Aufnahmen, hauptsächlich in Schwarz-Weiß, zeichnet die Ausstellung "In High Fashion" bei Westlicht Steichens Jahre von 1923 bis 1937 nach.

Junge Tänzer und Schauspieler, etwa die junge Katharine Hepburn, lässt er in den Roben berühmter Designer – beispielsweise von Coco Chanel oder Lanvin – posieren. Politiker wie Winston Churchill oder den Dichter William Butler Yeats inszeniert er in dramatischem Licht. Filmstars wie Greta Garbo, Charlie Chaplin, Gary Cooper setzt er in Rahmen, die er mit Vorhängen, Mobiliar und Raumkanten baute. Mondän, glamourös, edel sind seine Fotos, sie überhöhen die Dargestellten. Marlene Dietrichs Gesicht versinkt regelrecht hinter den Schwüngen eines Ohrensessels, der opulente Blütenkragen um ihren Hals flirtet mit dem Blattornament auf dem Stoff des Fauteuils.

Mit extremem Licht wirft er Schatten, "malt" mit ihnen grafische Akzente in die perfekt komponierten Fotos: Edward Steichen, kompletter Novize in Sachen Studiofotografie, lernt rasch, holt alles aus seinen Möglichkeiten heraus. Er führt die Stilmittel, die ungewöhnlichen Perspektiven der europäischen Avantgarde in die Modefotografie ein. Aber die Ausstellung zeigt auch ein Foto, das weit vor dieser Phase entstanden ist: 1911 fotografierte Steichen Kreationen von Paul Poiret für das französische Modemagazin "Art et Décoration". Eine einmalige Sache, die dennoch sein späteres Modellieren mit Licht und Schatten, sein Gestalten mit architektonischen Elementen vorwegnimmt.

Den massiven Einfluss Steichens erkenne man auch daran, dass seine Sujets oft in zeitgenössischen Werbekampagnen zitiert werden, sagt Ewing und zieht eine gefaltete Magazinseite aus der Tasche: Die Schwimmerin aus einer Chanel-Werbung, die in einer strengen Diagonale ins Meer eintaucht, ähnelt frappierend einem Farbfoto Steichens, das ebenso ganz von der Geometrie der Linie dominiert wird.

Die piktorialistische Attitüde hat Steichen für die Modefotografie im Übrigen nicht abrupt abgelegt: Für die Luftaufnahmen, die er im Ersten Weltkrieg für die US-Luftwaffe fertigte, war freilich der malerische Unschärfeeffekt wenig gefragt gewesen. Bereits damals begann er sich für die technischen Möglichkeiten des Mediums, für klare, scharfe Fotos zu interessieren.

Man zeigt in "Edward Steichen. In High Fashion" Aufnahmen, die fast 100 Jahre im Archiv lagen, so William A. Ewing, der die Schau ursprünglich als Direktor des Musée de l'Élysée in Lausanne mitkuratierte. Fotos, die nie für eine Präsentation in einem Rahmen gedacht waren; vielleicht wäre Steichen auch unglücklich mit dieser Schau gewesen, vermutet Ewing. 2008, 35 Jahre nach Steichens Tod, war das egal. Damals war die Schau, die 2009 etwa auch in New York präsentiert wurde, erstmals im Kunsthaus Zürich zu sehen.

Die "Sleeping Beauty" (Ewing) zu wecken, sprich den Archivschatz ans Licht zu zerren, war eine gute Entscheidung; obgleich im Vergleich mit Modefotos von Steichens Zeitgenossen dessen Genie noch deutlicher zur Geltung gekommen wäre. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 24.2.2015, erweiterte Fassung)