Jieun Lee forscht über das Thema Community Interpreting, also das Dolmetschen für Migranten bei Behörden.

Foto: Mascha Dabic

Im Rahmen der Konferenz MIAM 2015 in Gent in Belgien sprach die südkoreanische Sprachwissenschafterin Jieun Lee über die Situation von Heiratsmigrantinnen in Südkorea. In einem anschließenden Gespräch mit daStandard.at erzählte sie vom Umgang Südkoreas mit Migranten und ihren Sprachenrechten.

daStandard.at: Sie beschäftigen sich mit dem Thema Community Interpreting, also mit dem Dolmetschen für Migranten bei Behörden. Was können Sie über die Situation in Südkorea erzählen? Um welche Gruppe von Migranten geht es?

Jieun Lee: In meiner Forschung befasse ich mich mit den Heiratsmigrantinnen. Es gibt soziale Probleme auf dem Land, viele Männer können keine Partnerin finden, weil kaum eine südkoreanische Frau bereit ist, einen armen Bauern zu heiraten.

daStandard.at: Auf welchen Wegen kommen die Frauen nach Südkorea?

Lee: Es gibt Agenturen, die solche Eheschließungen vermitteln, mit Frauen aus Vietnam, Kambodscha und anderen südostasiatischen Ländern sowie aus China, Russland, Nepal, Mongolei, Usbekistan und so weiter.

daStandard.at: Wie erfolgreich ist diese Strategie?

Lee: Es gibt herzerwärmende Erfolgsgeschichten, die in Talkshows gezeigt werden. Aber es gibt auch tragische Schicksale. Es gibt Fälle von häuslicher Gewalt. Die Frauen sind ziemlich isoliert, beherrschen die Landessprache schlecht, verfügen über geringe Aufstiegschancen. Es gibt aber auch umgekehrt Fälle, wo die Frauen das System missbrauchen, um legal nach Südkorea einzureisen. Am nächsten Tag tauchen sie unter. Von feministischer Seite wird zunehmend Kritik an dieser Strategie geäußert.

daStandard.at: Wie sieht es mit der Einbindung dieser Frauen in den Arbeitsmarkt aus?

Lee: Es ist nicht leicht für sie, eine gute Arbeit zu finden. Die meisten Heiratsmigrantinnen sind in unqualifizierten Jobs zu finden, als Küchenhilfe oder Hausangestellte. Viele von ihnen sind schlecht ausgebildet, oder sie haben die Schule abgebrochen.

Für viele dieser Frauen ist die Heiratsmigration die einzige Aufstiegschance oder eine Möglichkeit, aus der Misere im eigenen Land herauszukommen. Aber auch solche, die über eine bessere Bildung verfügen, verlieren durch die Heiratsmigration Anschluss an ihr Berufsfeld.

daStandard.at: Gibt es auch andere Konstellationen von Heiratsmigration?

Lee: Kaum. Die zehn Prozent der männlichen Migranten sind entweder ehemalige Gastarbeiter, die eine Südkoreanerin geheiratet haben, oder es sind qualifizierte Facharbeiter, die im Land geblieben sind. Südkoreanische Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind, haben ihre Männer in der Regel nicht durch eine Agentur gefunden.

daStandard.at: Wie beeinflussen solche Prozesse die südkoreanische Gesellschaft?

Lee: Die Regierung behauptet, eine multikulturelle Gesellschaft zu fördern, aber das ist eher ein Lippenbekenntnis. Der Multikulturalismus spielt sich auf der Ebene der Familie ab, nicht jedoch auf einer sozialen, gesellschaftlichen Ebene. In Australien beispielsweise habe ich ein anderes Konzept von Multikulturalismus gesehen. Dort hat man als Migrant das Gefühl, dass die eigenen Sprachenrechte respektiert werden, dass man anders bleiben kann, sprachlich und kulturell, dass die eigene sprachliche Identität geschätzt wird. In Südkorea hingegen stehen Migranten unter einem stärkeren Druck, Koreanisch zu lernen.

daStandard.at: Bildet das Koreanische eine zusätzliche Barriere, da die Sprache ungleich schwieriger zu erlernen ist als etwa Englisch?

Lee: Ja, Koreanisch ist schwierig zu erlernen. Mit dem Japanischen gibt es eine gemeinsame sprachliche Geschichte, aber für die Menschen aus anderen Ländern ist die Sprache schon eine Herausforderung. Laut amerikanischen Diplomaten im Land zählt das Koreanische zu den schwierigsten Sprachen, ebenso wie Russisch. Natürlich gibt es Menschen, denen es gelungen ist, die Sprache sehr gut zu erlernen, diese werden auch in der Öffentlichkeit als Ausnahmebeispiele gefeiert. Aber jene Frauen, die viel arbeiten müssen, um ihre Familie zu ernähren, haben keine Zeit, um Sprachkurse zu besuchen und um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie stecken in einem Teufelskreis, weil ohne gute Sprachkenntnisse ein sozialer Aufstieg kaum möglich ist.

daStandard.at: Werden den Heiratsmigrantinnen zu Beginn Dolmetscher zur Seite gestellt?

Lee: Es gibt Übersetzungs- und Dolmetschdienste, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Aber die dort arbeitenden Dolmetscher sind oft sehr schlecht qualifiziert, ihre Sprachkenntnisse reichen nicht aus, um etwa bei Gericht zu arbeiten oder um Fachtexte zu übersetzen. Es ist aber niemand daran interessiert, solche Dolmetscherinnen, die zum Großteil selbst Heiratsmigrantinnen sind, besser zu qualifizieren. Für Englisch, Japanisch oder Chinesisch kann man gute Dolmetscher bekommen, wenn man Geld hat, aber für Migrantensprachen gibt es kaum qualifizierte Dolmetscher. Was kann aber eine Dolmetscherin, die nur schlecht Koreanisch spricht, für andere Heiratsmigrantinnen wirklich tun? Sie kann ihren Landsfrauen eine emotionale Unterstützung bieten, aber sie kann ihnen kaum wirklich dazu verhelfen, ihre Stimme hörbar zu machen. Die Polizei greift aber gerne auf die Dienste solcher unqualifizierter Dolmetscherinnen zurück. Ich denke, diese Praxis muss man kritisch hinterfragen. (Mascha Dabic, 24.2.2015, daStandard.at)