Oben unter dem Dachboden ist die Zeit stehengeblieben. Der braune Reisekoffer mit dutzenden Aufklebern erzählt von Urlauben aus den 1960er-Jahren. Excelsior Hamburg, Hofbräuhaus, Capri, Palermo. Alte Ordner mit Illustrierten-Ausschnitten aus den Siebzigern und Achtzigern liegen herum, auf dem Garderobenständer hängen Kleidungsstücke - unter anderem eine deutsche Polizeiuniform mit dem weißen Pferd Niedersachsens im Wappen. Und das in Los Angeles!

Foto: Tom of Finland Foundation

Dieses Zimmer, an dessen Tür "Northern Star" steht, hat dem Finnen Touko Laaksonen gehört, einem zeitlebens unter Pseudonym arbeitenden Zeichner, der als Tom of Finland erstmalig die schwule Subkultur sichtbar machte und dessen Werk heute zur Sammlung des Museum of Modern Art in New York gehört. Sein Heimatland hat vergangenes Jahr ihm zu Ehren eine Briefmarke herausgegeben. Politiker des Nachbarstaats Russland forderten sofort, Briefe mit dieser Frankierung zurückzuschicken.

Museum, Begegnungsstätte, Wohnhaus

In dem Haus in 1421 Laveta Terrace, Echo Park, nahe Downtown Los Angeles, hat Tom of Finland viele Monate seiner letzten Lebensjahre verbracht. Es bewahrt bis heute die Erinnerung an seinen berühmtesten Bewohner: teils als Museum, Begegnungsstätte und teils als Wohnhaus. Durk Dehner wohnt seit 1978 hier, er kümmert sich um die Stiftung, die über das Werk des Finnen wacht.

Das ungleiche Paar lernte sich 1976 kennen. Tom of Finland war Ende 50, Durk Dehner Anfang 30.
Foto: Tom of Finland Foundation

Das ungleiche Paar lernte sich 1976 kennen. Tom of Finland war Ende 50, Dehner Anfang 30. Der jüngere Mann war gerade aus New York an die Westküste gezogen, er arbeitete als Stricher, Barkeeper, "alles, womit man schnell Geld verdienen konnte". Als er von einer Ausstellung des Finnen hörte, schrieb er dem Zeichner einen Brief, in dem er seine Bewunderung für das Werk kundtat - und ihm anbot, ihn in seiner Wohnung zu beherbergen. Tom of Finland willigte ein, wählte Dehner zu einer seiner Inspirationsquellen, zeichnete ihn und gründete mit ihm 1978 die Tom of Finland Company.

Tom of Finland wurde 1920 als Touko Laaksonen geboren, er war ein Lehrersohn, als er 1991 starb, war er eine Ikone der Homosexuellen-Bewegung. Berühmt wurde er mit den beinahe karikaturhaft maskulinen Polizisten, Seemännern und Cowboys - Männern in Uniform oder knapp bekleidet, die viril und provozierend erotisch waren. Starke Abziehbilder für die als verweichlicht angesehenen Schwulen. In den 1970er-Jahren wurde der Underground-Held einem breiten Publikum bekannt, als die Modedesignerin Vivienne Westwood ein Motiv von ihm für einen T-Shirt-Druck übernahm.

Klischee mit Palmen

Gezeichnet hat Laaksonen ab 1980 auch in Los Angeles, oben an seinem Schreibtisch direkt unter dem Giebel dieses dreigeschoßigen Haus. Sechs Monate verbrachte der Künstler jedes Jahr in der Stadt, von Oktober bis Mai, wenn es in Finnland dunkel und kalt wurde. Draußen vor dem Haus stehen Palmen, der Himmel darüber ist oft reinstes Klischee: azurblau. Als das Gebäude 1910 errichtet wurde, im Stil eines American Craftsmen House, zog ein Richter ein.

Foto: Tom of Finland Foundation

Später übernahmen italienische Familien das Anwesen. In den späten 1970er-Jahren waren Dehner und seine Freunde die Einzigen in der Straße, die Englisch redeten. In den Achtzigern trieben Gangs ihr Unwesen, die Sirenen schallten Tag und Nacht durch die Straßen. Heute ist die Gegend begehrt: große Gärten, ruhige Straßen, Restaurants um die Ecke.

Sein dunkelstes Geheimnis

Im Erdgeschoss links liegt das Wohnzimmer, eine dunkle Ledercouch, Art-déco-Lampen, Zeichnungen von Tom und ein Kamin - den wohl selten jemand in L. A. anzündet. In diesem Zimmer hat der Zeichner Dehner von seinem dunkelsten Geheimnis erzählt. Mit 20 wurde der junge Touko in die Armee eingezogen, die Finnen kämpften damals an der Seite der Deutschen gegen die Sowjetarmee.

Foto: Tom of Finland Foundation

Als Leutnant hatte er eine Einheit unter sich, vor der Schlacht zog er mit seinen Männern in einen Wald, zusammen sangen sie finnische Heimatlieder. Eines Nachts musste er einen russischen Fallschirmspringer in Notwehr töten. Das Messer, mit dem er die Tat beging, warf er erst kurz vor seinem Lebensende weg.

Seit Tom of Finland verstorben ist, organisiert Dehner im Haus Lesungen, Veranstaltungen, Künstlertreffen. Der "Hairspray"-Regisseur John Waters war hier, der "Hustler"-Gründer Larry Flint, der Rockmusiker Rob Halford von Judas Priest. Ihnen allen zeigte er Toms Nachlass.

Dehner geht durch eine massive Türe aus Eiche in sein Schlafzimmer - "Master's Bedroom" steht auf dem Schild an der Tür. An der Wand neben dem Bett lehnen schwarze Lederstiefel. (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 27.2.2015)