Marabu, Ginsterkatze, Löwe, Zebra und Antilope. Oder: Dirk, Isabel, Peter, Frankie und Sandra. Oder: Peter Knaack, Caroline Peters, Johann Adam Oest, Oliver Stokowski und Sabine Haupt (v. li.). In Roland Schimmelpfennigs "Reich der Tiere" erzählen sie vom Konkurrenzdruck im Dschungel und auf der Bühne.

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Oliver Stokowski.

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STANDARD: Sie spielen in Roland Schimmelpfennigs "Das Reich der Tiere" den Schauspieler Frankie, der ein Zebra spielt. Die Regieanweisung ist: "auf keinen Fall lächerlich". Wie spielt man ein Zebra mit Würde?

Stokowski: "Nicht auf vier Beinen gehen", heißt es bei Roland Schimmelpfennig. Für mich hätte er das nicht reinschreiben müssen. Denn es ist ja ein Stück im Stück; wir spielen die Schauspieler, die wiederum die Tiere spielen. Es geht um die Knochenarbeit eines Ensembles, das Hunderte von Vorstellungen gibt. Man kann und soll da nur Zitate vom Tiersein geben, vielleicht wiehert das Zebra mal oder klappert mit den Hufen. Die Tragik soll klar werden, dass Menschen hinter den Kostümen unsichtbar werden. Keiner kennt sie, nicht einmal die Kollegen am Gang, niemand hat Interesse an dem, was sie sind.

STANDARD: Sie haben sich in Ihrer Vorbereitung also nicht so sehr mit Zebrabewegungen befasst?

Stokowski: Eher mit dem, was das Zebra darstellt. Es ist ein Tier, das sich nicht dressieren lässt. Ein Zirkusdirektor hat einmal gesagt, Zebras in einer Gruppe im Kreis laufen zu lassen, ist allerhöchste Dressurkunst, mehr werden diese Tiere nicht hergeben. Die Streifen eines Zebras sind individuell verschieden. Die Tiere erkennen einander an der jeweiligen Zeichnung. Und sie werden auch von Moskitos nicht gestochen, weil die Insekten von den Zebrastreifen irritiert werden. Auch aus Animationsfilmen kann man sich viel rausziehen, Madagascar 1, 2 und 3.

STANDARD: Das Zebra ist also mit Widerstandsgeist ausgestattet. Das passt wiederum zu dem Schauspieler Frankie, den Sie spielen.

Stokowski: Ja! Er ist der Einzige von der Gruppe, der es schafft, auszubrechen. Sechs Jahre lang so ein Tier zu spielen, das hat in ihm wohl Spuren hinterlassen. Ich kann mir vorstellen, dass der selbst manchmal wiehernd aufwacht oder gestreifte Klamotten trägt, und es gar nicht merkt.

STANDARD: "Das Reich der Tiere" ist eine Backstage-Tragikomödie. Sie erzählt aber nicht nur vom Theaterbetrieb, sondern über die Arbeitswelt an sich.

Stokowski: Ja. Es geht um Kollegenschaft, um Konkurrenz, Misstrauen, um soziale Bindungen. Die Schauspielerin, die die Antilope spielt beispielsweise, wurde schwanger, und es fiel gar nicht auf, dass sie zehn Monate weg war. Das sagt einiges aus. Es bilden sich Gruppen, wird hinterrücks geredet: Wer ist ein Arschkriecher, wer lädt die Komparsin zum Essen ein. Das wird hier alles beschrieben. Dass sich letztendlich jeder selbst der Nächste ist.

STANDARD: In Krisenzeiten verschärft sich das.

Stokowski: Es droht die Schließung des Theaters, da wird alles vager. Dennoch ist es eine Tragikomödie; es spricht nichts dagegen, dass so ein Kostüm auch komisch sein kann. Als Schauspieler muss ich das natürlich mit der absoluten Ernsthaftigkeit betreiben, sonst geht das ja nicht auf. Wenn das Zebra eine Rede darüber hält, warum der Löwe kein König sein kann, weil er eben manche seiner Untertanen jagen würde, dann spricht aus ihm doch Robespierre. Das ist eine Brandrede!

STANDARD: Thema des Stücks ist auch, dass Schauspieler "schlecht" oder "gut" spielen. Leidet man in diesem Beruf manchmal darunter, dass die Schauspielkunst so schwer messbar ist?

Stokowski: Da treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Es ist alles sehr subjektiv. Wer ist "besser", wer ist "schlechter"? Natürlich gibt es Qualitätsunterschiede, was das Handwerk betrifft, aber wo misst man Begabung? Es hängt von so vielen Dingen ab. Es stimmt auch nicht, dass die Besten immer ganz oben landen. Der Regisseur im Stück sagt, Schauspieler haben eine kriminelle Energie, sie nehmen sich, was sie brauchen. Aber wer sagt denn, dass der dann besser ist als ein sensibler Schauspieler, der vielleicht anders an die Sache herangeht?

STANDARD: Der Regisseur sagt auch: Schafft euch Netzwerke! Ein Zauberwort der neuen Arbeitswelt.

Stokowski: Es gibt Menschen, die können Netzwerke knüpfen und solche, die können und wollen das nicht. Die sind in sich zurückgezogen und vermögen trotzdem Höchstleistungen zu bringen.

STANDARD: Sie haben schon Mitte der 1990er-Jahre am Burgtheater gespielt und fühlen sich hier "immer gleich wie zu Hause", wie Sie einmal gesagt haben. Warum?

Stokowski: Ich habe in Graz Schauspiel studiert, und da sind wir immer in diese heilige Halle gefahren. Das Burgtheater war der Tempel! Und plötzlich war ich dann früher hier als gedacht. Das war so einschneidend, das hat sich so eingebrannt, weil man doch den Geist von 240 Jahren Tradition einatmet. Mir ging es dabei sehr gut, und deshalb habe ich hier ein Stück Heimat. Als Schauspieler ist man auf der Bühne zwangsläufig immer auch irgendwie daheim.

STANDARD: Sie haben zunächst Musik studiert, sich dann aber für das Schauspiel entschieden. Warum?

Stokowski: Es gab einen Bruch. Ich machte meinen Zivildienst und bin dort an menschliche Grenzen gestoßen. Da hatte ich mit schweren Schicksalen zu tun, auch mit Tod. Das hat etwas mit mir gemacht, ich habe anders über das Leben nachgedacht. Das Schauspielern war ja eigentlich mein Berufswunsch gewesen, der schien mir nur unrealisierbar. Erst dieser Einschnitt beim Roten Kreuz hat mich wieder zu diesem Traum zurückgeführt. Es klingt pathetisch, aber es war so.

STANDARD: Ihr Urgroßvater war Leopold Stokowski, ein bedeutender Komponist und eine schillernde Figur; er war u. a. mit der US-amerikanischen Schauspielerin Gloria Laura Vanderbilt verheiratet. Kannten Sie ihn noch?

Stokowski: Leider hatten wir keinen Kontakt, obwohl er erst Mitte der 1970er-Jahre starb. Als ich als Student zu meinem Kontrabasslehrer kam, rief mir der schon aus seinem Zimmer entgegen: "Kommen Sie nur herein. Ihr Name verspricht ja einiges. Ich habe den Maestro ja noch gekannt!" Leider habe ich aber nicht mehr Erinnerungen als jeder andere. Er war ja eigentlich einer der ersten Weltstars als Dirigent. Er hat den Beruf unheimlich populär gemacht, auch in Hollywood, inklusive seiner Affären, u. a. mit Greta Garbo. Mit 95 hat er noch einen fünfjährigen Plattenvertrag mit Ariola unterschrieben. Hut ab! (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 25.2.2015)