Trinken und Rauchen im Wirtshaus sind kein Ersatz für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen durch den Facharzt. Österreichs Psychiater und Psychotherapeuten sind erbost über Aschermittwoch-Aussagen von WKÖ-Präsident Christoph Leitl. "Ein guter Wirt erspart drei Psychiater", hatte er unter anderem gesagt.

Der Bundeswirtschaftskammerpräsident hatte in seiner Aschermittwochrede die Gastronomie vor dem von der Regierung geplanten Rauchverbot in Lokalen zu schützen versucht. Es könne nicht sein, dass man die "Wirte sterben" lasse, dafür aber die Psychiater-Ausbildung forciere. Das hat in den Reihen der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) zu einem Aufschrei geführt.

Beim Alkoholkonsum König

In einer Stellungnahme der Ärzte und Therapeuten heißt es: "Österreich ist ein Staat mit einer im europäischen Vergleich beschämend geringen Anzahl von Psychiatern, mit der Tendenz zum internationalen Schlusslicht zu werden. Beim Alkoholverbrauch - und zwar in allen Altersgruppen - und entsprechend auch bei der Rate der Alkoholkranken zählt Österreich hingegen zu den Spitzenreitern Europas."

Der Präsident der Fachgesellschaft, der Wiener Psychiater Georg Psota, war zuvor mit wütenden Protesten seiner Kollegen konfrontiert gewesen: "Ich habe von Mitgliedern unserer Fachgesellschaft mit unterschiedlichstem Hintergrund Protestschreiben und Anrufe mit dem Inhalt 'Jetzt reicht's' bekommen." Es könne nicht sein, dass man der österreichischen Bevölkerung Gasthäuser statt psychiatrische Versorgung anbieten wolle.

Unbestritten ist schon allein das enorme Alkoholproblem, das Österreich hat. "Wir sind immer im Spitzenfeld. Da schaffen wir jede Europameisterschaftsqualifikation locker", so hat Michael Musalek, Leiter des Anton Proksch Instituts in Kalksburg bei Wien, die Situation dargestellt.

Alkoholkrank ist teuer

750.000 Menschen sind gefährdet. 360.000 Menschen sind tatsächlich alkoholkrank", sagte bei einer Pressekonferenz Barbara Degn von der Österreichischen Gesellschaft für Familien- und Allgemeinmedizin. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Höhere Studien kosten Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit der österreichischen Volkswirtschaft mindesten 470 Millionen Euro pro Jahr.

Beim Rauchen sieht es nicht besser aus. 35 Prozent der Österreicher greifen noch immer zum Glimmstängel. Man rechnet mit jährlich mindestens 14.000 Todesopfern durch Folgeerkrankungen. Die österreichischen Jugendlichen sind überhaupt Europa-Spitze beim Rauchen, so die Daten aus internationalen Vergleichsstudien.

Die Psychiater und Psychotherapeuten wollen diese Themen nicht bei Aschermittwochs-Spektakeln behandelt sehen: "Wir erwarten von der österreichischen Politik, dass sie die Entwertung von psychisch Kranken, des Faches Psychiatrie und den Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie unterlässt, sich ihrer Verantwortung bewusst wird und die Psychiaterausbildung sehr wohl forciert. Wir erwarten von der österreichischen Politik auch in Wahlkampfzeiten, dass sie sich den Stammtischen nicht anbiedert, sondern niveauvolle Politik betreibt und dass die Wirte Österreichs so gefördert werden, dass sie nicht von der Alkoholisierung ihrer Kunden leben müssen."

Falsche Vorbildwirkung

Psota äußerte sich gegenüber der APA besonders erstaunt darüber, dass Leitl eine derartige Stellungnahme abgegeben hat: "Er ist auch Obmann der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA), die als Krankenkasse natürlich auch Nikotin- und Alkoholabhängige unter ihren Versicherten hat."

Noch dazu habe die SVA mit ihrem Programm "Selbstständig gesund" im Jahr 2012 unter dem geschäftsführenden Obmann und nunmehrigen Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, ein Vorsorgeprogramm auf die Beine gestellt, bei dem Versicherter und Arzt Lebensstilveränderungen vereinbaren. Darunter fallen Gewichtsabnahme, Alkohol- und Zigarettenkonsum. Erreicht der Versicherte die vereinbarten Ziele, kann er die Halbierung des 20-prozentigen Selbstbehaltes beantragen.

Alkohol und Zigaretten "beim Wirt'n" als psychiatrische Selbstbehandlung seien da wohl nicht adäquat, meint Psota. Vergangenes Jahr wies er bei einer Pressekonferenz darauf hin, dass es in Wien nur rund 20 niedergelassene Psychiater mit Kassenvertrag gebe. Das allein schränke schon die Behandlungsmöglichkeiten für die Patienten ein. (APA, derStandard.at, 25.2.2015)