Es wird spannend. Der ORF unternimmt zur Zeit ein interessantes Experiment: Er fährt mit hohem Tempo in dichten Nebel.
Noch weiß kaum jemand, was mit den neuen Begriffen "Matrix", "Cluster" usw. letztlich gemeint sein wird, sicher ist nur, dass es teuer wird - wie teuer, weiß auch niemand. Daran ist zunächst nichts ungewöhnlich. Radikale Umstellungen bringen vor dem Start immer eine Menge Unsicherheiten und lassen eine verlässliche Kostenabschätzung selten zu. Ungewöhnlich ist auch nicht, dass im Vorfeld solcher Veränderungen intern gestritten wird. Ungewöhnlich ist aber doch die Anzahl und Intensität öffentlicher Proteste, und ungewöhnlich ist mittlerweile auch der Ton, in dem Geschäftsführung und Ö1 miteinander verkehren.
Während der Generaldirektor milden Spott über die Sorgen von Ö1 gießt, ortet der Zentralbetriebsratschef eine "tiefsitzende Angerührtheit des Generaldirektors", zitiert Iuvenal: Es sei schwer, über des Generaldirektors letzte Stellungnahme keine Satire zu schreiben, und sieht "management by chaos". Es geht also um die Zukunft des Radiosenders Ö1, der vom Funkhaus ins ORF-Zentrum übersiedeln soll, und das Hauen und Stechen hat schon seinen Sinn, denn an der Zukunft von Ö1 hängt die Zukunft des ORF. Das muss man so deutlich sagen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders befürchten, und sie haben dafür einigen Anlass, dass Ö1 zerstört werden könnte. Das ist deswegen so riskant, weil Erfolg und Ansehen dieses Senders ein zentrales Argument für den Gebührenanspruch sind. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs Karl Korinek geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet Ö1 als "derzeit die einzige Rechtfertigung für die Bevorzugung des ORF, insbesondere auch durch die Gebührenfinanzierung". Das hieße: Eine Beschädigung von Ö1 ist eine Beschädigung des ORF, eine Zerstörung von Ö1 ist eine Zerstörung des ORF.
Nun hat aber der ORF mitgeteilt, dass an Ö1 "nicht gerüttelt" wird und dass Ö1 "auch nach dem Umzug seine spezifische Senderidentität" behalten werde. Der Generaldirektor hat das in seiner Stellungnahme bekräftigt: "Ö1 bleibt Ö1". Allein, man glaubt ihm nicht. Warum? Der interimistische Leiter von Ö1 Peter Klein hat das in einem Brief an den Stiftungsrat im Dezember 2014 begründet: Es gebe einen Strategieplan 2020, dem folgend Ö1 "Teil eines Kultur-, Wissenschafts- und Religionsclusters werden" solle. Peter Klein weiter: "Ö1 bleibt, wie man uns mitteilt, das, was nicht in den multimedialen Newsroom soll und was nicht im Cluster aufgeht. Ö1 also als ,best of the rest'."
Misstrauen und Wut
Die Frage lautet daher, ob dieser Strategieplan 2020 noch gilt, und wenn ja, wie das mit der Ankündigung des Generaldirektors vereinbar ist, es werde einen Ö1-Channelmanager geben und dem obliege die "hauptverantwortliche Leitung mit eigenen Ressourcen und eigenem Stab". Aber was soll der mit seinem Stab leiten, wenn die Radioinformation im Newsroom produziert wird und Kultur, Wissenschaft, Religion im jeweiligen multimedialen Cluster, die jeweils auch einen eigenen Chef haben werden? Das wäre endlich in einem großen Gespräch zu klären, denn kein Mensch kennt sich aus. Das steigert Misstrauen und Wut.
Dazu kommt, dass das Rückgrat des außergewöhnlichen Erfolgs von Ö1 als Europas stärkstem Kultursender die Information ist. So wichtig Musik, Kultur, Wissenschaft, Gespräche sind und so hoch die Anforderungen an ihre Qualität sind und sein müssen: Ohne Journale und stündliche Nachrichten hätte Ö1 nicht achteinhalb Prozent Tagesreichweite, sondern zweieinhalb wie die anderen europäischen Kultursender - wahrscheinlich ein wenig mehr, aber sicher nicht diesen Erfolg. Gehört aber die Information als völlig eigenständiges Element des Radiosenders Ö1 nicht mehr dazu, sondern geht in die Tiefen des multimedialen Newsrooms mit seinen ganz anderen Strukturen ein, dann ist es nicht seriös, auch für die Zukunft eine "spezifische Senderidentität" von Ö1 zu versprechen.
Noch einmal: Wie soll diese Identität aussehen, wenn die Radioinformation im Newsroom verschwindet und Kultur, Wissenschaft, Religion jeweils in einem multimedialen Cluster? Dann bleibt von Ö1 in Wirklichkeit nichts übrig - außer dem angekündigten Channelmanager mit seinem Stab. Das wäre ein Potemkin'sches Dorf mit Musik.
Ö1 ist ein aus vielen Teilen bestehendes durchkomponiertes Programm, das am besten in lokaler Einheit entsteht. Die solle auch nach der Übersiedlung ins ORF- Zentrum gewahrt werden, "räumlich und organisatorisch eine eigene Einheit", verspricht der Generaldirektor, aber Redakteurssprecher, Betriebsräte und ein Großteil der Belegschaft glauben das nicht. Es ist offensichtlich, dass das größte Kommunikationsmedium des Landes intern ein ernsthaftes Kommunikationsproblem hat.
Und ob die Absiedlung von Ö1, FM4 und Studio Wien aus dem Funkhaus ins ORF-Zentrum gescheit ist, muss gründlich neu überdacht werden. Es spricht zu viel dagegen. Sicher ist nur, was der ORF selbst seit den 90er-Jahren seinen Hörerinnen und Hörern verkündet: Ö1 gehört gehört. (Peter Huemer, DER STANDARD, 26.2.2015)