Bild nicht mehr verfügbar.

"Paris steht nicht auf der Seite von Griechenland, sondern von Europa", sagt der französische Finanzminister Michel Sapin.

Foto: reuters/PHILIPPE WOJAZER

STANDARD: Frankreich wollte im aktuellen Tauziehen zwischen Brüssel und Athen ein "Bindeglied" bilden. Ist Ihnen das gelungen?

Sapin: Eine erste Etappe ist geschafft: Griechenland hat Reformvorschläge gemacht, die Institutionen haben sich dazu geäußert, und die Eurogruppe hat zugestimmt. Das war natürlich nicht allein Frankreichs Werk. Mein österreichischer Amtskollege Hans Jörg Schelling etwa hat eine äußerst positive Rolle gespielt.

STANDARD: Wie steht denn Paris zu Athen?

Sapin: Paris steht nicht auf der Seite von Griechenland, sondern von Europa. Gehört Frankreich zu den Ländern des Nordens oder des Südens? Ich weiß es nicht. Paris will der Bindestrich zwischen Athen und der Eurozone sein. Wir können nicht so tun, als hätte sich in Griechenland bei den letzten Wahlen nichts verändert. Aber zugleich gibt es in der Eurozone Regeln, die alle einhalten müssen. Ich denke, dass die in den letzten Tagen durch die Eurogruppe getroffenen Entscheidungen die richtigen sind: Die griechische Regierung und deren Partner arbeiten zurzeit ernsthaft daran, einen Weg zu finden, der es Griechenland ermöglicht, nachhaltiges Wachstum und Arbeit zu finden.

STANDARD: Frankreich tritt gegenüber Athen eher hart auf. Dabei verurteilen Sie die europäische "Austerität".

Sapin: Die Griechen wissen, was Austerität ist: Ihre Löhne, ihre Renten, ihre Sozialzuschüsse sind gesunken. Wenn mir in Frankreich gesagt wird, hier herrsche Austerität, antworte ich stets: Geht nach Athen, dort seht ihr, was dieses Wort bedeutet! In Frankreich streben wir nicht einen Austeritätskurs an, sondern ein seriöses Budget. Das gilt für die gesamte Eurozone: Wenn wir ein genügendes Wachstum sowie eine Inflation gemäß Definition der Europäischen Zentralbank wollen, müssen wir eine weniger restriktive Wirtschaftspolitik verfolgen. Wir wollen die Budgetdefizite abbauen, aber in einem Rhythmus, der dem Wachstumsziel angepasst ist.

STANDARD: Der Rechnungshof in Paris hat diese Woche aber kritisiert, dass Frankreich sein Defizit einmal mehr schlittern lasse.

Sapin: Das ist die Sicht des Rechnungshofes. Fakt ist, dass Brüssel und die französische Regierung sich den gleichen Zahlen nähern, was das geeignete Wachstum und das geeignete Defizit anbelangt.

STANDARD: Die EU gibt Frankreich jetzt mehr Zeit für die Defizitreduktion ...

Sapin: Ja, das erfolgt auf Beschluss der Europäischen Kommission, die die neue Stoßrichtung vorgibt. Ich für meinen Teil hatte vorgeschlagen, dass Frankreich sein Budgetdefizit bis 2017 auf drei Prozent senkt. Der Dialog zwischen Brüssel und Paris ist in dieser Frage optimal.

STANDARD: Tatsache ist aber auch, dass Frankreich 2014 zu den wenigen EU-Ländern gehörte, in denen das Budgetdefizit gegenüber 2013 stieg.

Sapin: Die Haushaltskonsolidierung ist massiv seit 2012 – das korrigierte Defizit wurde zwischen 2011 und 2014 halbiert. Das erwartete Wachstum stellte sich allerdings nicht ein. Das Defizit fiel seit 2010 dennoch um die Hälfte. Der Aufwand dafür war enorm.

STANDARD: Das geht nur, wenn genug Wachstum da ist.

Sapin: Richtig, sonst lösen wir die Probleme weder konjunkturell noch budgetmäßig noch sozial. Das absolute Übel für die Eurozone wäre ein zu schwaches Wachstum bei einer zu tiefen Inflation.

STANDARD: Das ist mittlerweile der Fall.

Sapin: Deshalb hat die Europäische Zentralbank jüngst die richtigen Entscheidungen gefällt. Wachstum bei genügender Inflation muss derzeit oberste Priorität haben. Dazu müssen – und wollen – wir in Frankreich das Budgetdefizit abbauen. Es geht nicht mehr darum, die Nachfrage künstlich zu stimulieren, wie das 2008 oder 2009 der Fall war. Wir müssen in der EU die Investitionen ankurbeln. In Frankreich sind die privaten Investitionen seit 2008 um 15 Prozent gesunken. Daher ist der Juncker-Plan (mit einem Investitionspotenzial von mehr als 300 Mrd. Euro, Anm.) angebracht. Frankreich hätte sogar gewünscht, dass er weiter geht. Auf jeden Fall muss er so schnell wie möglich umgesetzt werden. Deshalb habe ich letzte Woche zusammen mit anderen Finanzministern die Europäische Investitionsbank aufgesucht, damit sie konkrete Projekte finanziert, ohne auf die Vollendung der Rechtsinstrumente des Juncker-Plans zu warten.

STANDARD: Sollte Frankreich nicht seine eigenen Strukturreformen ebenso entschlossen anpacken?

Sapin: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben in Frankreich bereits eine weitgehende Reform der Jobsicherung ("sécurisation de l'emploi") durchgezogen. Ich war selbst einmal Arbeitsminister und kann Ihnen versichern, das war für Frankreich sehr wichtig. Seither gibt es in Frankreich keine riesigen konfliktgeladenen Sozialpläne mit Massenentlassungen mehr. Dazu kam diese Woche das nach dem Wirtschaftsminister benannte Macron-Gesetz. Es reformiert wichtige Sektoren der französischen Wirtschaft, von den geschützten Berufen bis zur Sonntagsarbeit.

STANDARD: Gerade das Macron-Gesetz blieb aber auf halbem Weg stecken, da es von rechts (Notare) wie links (Gewerkschaften) massive Widerstände gab.

Sapin: Echte Reformen rufen echte Widerstände hervor. Die Regierung will solche Reformen durchführen, weil sie für unsere Wirtschaft unerlässlich sind. Deshalb hat der Premierminister die Vertrauensfrage zu diesem Gesetzestext vor der Nationalversammlung gestellt. Und er wäre bereit, sie notfalls wieder zu stellen.

STANDARD: Und im zentralen Punkt der Arbeitsmarktreformen?

Sapin: Es gab Verhandlungen über die flexiblere Gestaltung der sozialen Beziehungen. Die Sozialpartner haben aber keine Einigung finden können. Deshalb hat nun die Regierung Verantwortung übernommen. Der Premierminister hat gestern die Sozialpartner zusammengeführt und sie darauf hingewiesen, dass das Gesetz schaffen muss, was in den Verhandlungen nicht möglich war.

STANDARD: Der "Pakt der Verantwortlichkeit" wird aus Expertensicht ebenfalls nur sehr mühsam in die Tat umgesetzt.

Sapin: Das stimmt, aber das Wichtige ist vollbracht: Die Unternehmen wurden 2014 mit zehn Milliarden Euro an Steuern und Abgaben entlastet und werden 2015 eine weitere Entlastung von zwölf Mrd. erfahren. Es bleibt nun die Einigung der Sozialpartner bezüglich der Verwendung dieser Mittel – für neue Jobs, für die Ausbildung oder Investitionen? Eine solche Einigung ist in Frankreich immer sehr schwierig zu bewerkstelligen. Sicher schwieriger als in Österreich oder Deutschland.

STANDARD: Eine andere Strukturschwäche Frankreichs sind die hohen Staatsausgaben – 55 Prozent des Bruttoinlandproduktes!

Sapin: Aus diesem Grund nehmen wir überall Einsparungen vor. So haben wir die Zahl der Verwaltungsregionen in Frankreich um die Hälfte gesenkt und die Gesundheitsausgaben verringert. Unsere Familienpolitik ist positiv: Die Franzosen sind in Europa diejenigen, die am meisten Kinder machen.

STANDARD: Welche Botschaft bringen Sie nach Wien mit?

Sapin: Unter anderem, dass Österreich ein sehr wichtiges Land für EU-interne Absprachen ist. Nehmen Sie die Finanztransaktionssteuer. Seit zwei Jahren kamen wir nicht voran. Wenn sich große Länder wie Deutschland oder Frankreich einsetzen, bringen sie angeblich immer eigene Interessen mit. Seit sich Hans Jörg Schelling als Finanzminister Österreichs darum kümmert, machen wir mehr Fortschritte. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 26.2.2015)