Alexandra Schneider ging dem unterschiedlichen Engagement vier Ägypterinnen nach.

Foto: Daniela Praher Filmproduktion

dieStandard.at: Warum lautet der Titel des Films "Private Revolutions"? Geht es um eine Revolutionen im Leben der Protagonistinnen, die parallel zur ägyptischen Revolution laufen?

Alexandra Schneider: Jede der porträtierten Frauen ist aus ihrem familiären Umfeld auf eine gewisse Art und Weise ausgebrochen oder haben ihr Umfeld verändert. Das macht sie neben ihrem gesellschaftlichen Engagement auch so spannend: Sie haben einen persönlichen Preis für ihren Idealismus und ihr Engagement gezahlt.

Diese vier Portraits fließen zu einem Gesellschaftsbild zusammen. Es gibt noch Millionen andere Schicksale, die Vier erlauben aber einen Einblick in eine neue Generation von Ägyptern. Der Film ermöglicht auch einen Einblick in die Vielfalt der ägyptischen und muslimischen Frauen. Die sind nicht unterdrückt oder passiv.

dieStandard.at: Welche Phasen des arabischen Frühlings haben Sie im Film begleitet?

Schneider: Anfang 2011 gab es eine Phase der Euphorie. Bei den Parlamentswahlen gab es dann schlimme Zusammenstöße auf der Mohamed Mahmoud Straße. Eine große Ernüchterung ist eingetreten, als das Militär auf einmal auch auf die Demonstranten geschossen hat. Eine weitere große Ernüchterung war, dass die Muslimbrüder mit den Salafisten über 80 Prozent aller Sitze im Parlament hatten. Viele haben sich gefragt: Was hat das jetzt eigentlich alles gebracht?

dieStandard.at: Wer sind diese Frauen, die im Film begleitet werden?

Schneider: Amani ist eine sehr außergewöhnliche Frau, die Medienwissenschaften studiert hat und ihre eigene Radiostation hat. Sie wollte eine Debatte über Frauenrechte lostreten, aber nicht mit der intellektuell gebildeten Oberschicht, sondern mit jungen Frauen aus allen Schichten. Sie kämpft darum, dass soziale Themen aufgegriffen werden; von Heirat um jeden Preis, Scheidungen, Beschneidung bis hin zu sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit.

Sharbat ist eine Aktivistin, die auf der Straße politisch aktiv ist. Jemand, der unmittelbar durch Demonstrationen versucht etwas zu ändern. Trotz Widerstand der ganzen Nachbarschaft, des Ex-Mannes und der Familie. Sie lebt knapp über den Existenzminimum. Fatma kommt hingegen aus einer reichen Familie und hat gerade ihren PHD in Politik absolviert. Gleichzeitig ist sie mit 26 dreifache Mutter und bei den Muslimbrüdern sehr engagiert. Und dann ist da noch Mey, die aus einer wohlhabenden Bankerfamilie kommt. Sie hängt eine sehr erfolgversprechende Bankerkarriere an den Nagel, weil sie in der Region ihrer Eltern rund um Aswan regionale Entwicklungsprojekte aufbauen möchte.

dieStandard.at: Wie erfolgte die Auswahl der vier Protagonistinnen?

Schneider: Ich hatte den Wunsch, dass eine Vielfalt von Frauen und Ideologien vertreten ist, aber auch unterschiedliche Arten von Engagements. Es sind nicht vier Frauen, die alle in den Straßendemos oder, die alle in einer Partei sind. Ein echter Umbruch findet auf der Straße, aber auch im Privaten statt. Wichtig ist, dass der private Diskurs beleuchtet wird, der kommt zu kurz, weil er nicht leicht zugänglich ist. Das ist der Vorteil eines Films, man kann über einen längeren Zeitraum beobachten. Das war auch mein Ziel.

dieStandard.at: Wie haben die Menschen auf Ihre Arbeit reagiert?

Schneider: Prinzipiell waren die Leute sehr offen. Auch zu meinen Protagonistinnen habe ich eine ganz enge Beziehung entwickelt. Natürlich gab es angespannte Situationen, etwa bei den Präsidentschaftswahlen, nachdem die Liberalen und Linken nicht mehr weiterkamen und es zu der Stichwahl zwischen Mursi und Shafik kam. Viele hatten den Eindruck, sie können nur zwischen Pest und Cholera wählen. In Sharbats Viertel war man gewohnt, alles selbst in die Hand zu nehmen - die Polizei kommt da gar nicht mehr hin. Wenn man dort mit einer Protagonistin filmt, die für ihr Engagement angefeindet wird, erhöht das nicht unbedingt deine Beliebtheit.

dieStandard.at: Wie war es, als Europäerin diesen Film zu drehen?

Schneider: Ich hatte Bedenken, dass ich als Ausländerin einen Film über die ägyptische Revolution mache. Ich war anfangs unsicher, ob das funktioniert und ob das nicht total vermessen ist, noch dazu, da ich die Sprache nicht kann. Es hat sich gezeigt, dass es ein Vorteil war, weil mich die Frauen als neutral wahrgenommen haben. Eine Ägypterin hätte vielleicht nicht mit einer Muslimschwester oder einer Gegnerin der Muslimbrüder gedreht. Wenn ägyptische Teammitglieder dabei waren, haben die sich immer in Diskussionen verstrickt, sei es mit Sharbat oder mit Fatma. Die vier Frauen sind zwar alle Ägypterinnen, aber sehr verschieden.

dieStandard.at: Welche Rolle haben Frauen in der ägyptischen Revolution ihrer Meinung nach gespielt?

Schneider: Mein Eindruck ist, dass die Frauen auf einer gewissen Ebene der Motor der Revolution waren. Vor allem, als der Prozess immer mühsamer und frustrierender wurde. Die Gesellschaft bevorzugt Männer, Frauen haben da völlig andere Erfahrung gemacht. Frauen sind die, die den größeren Leidensdruck haben und daher eine größere Motivation, etwas zu verändern. Frauen waren am Tahrir von Anfang an dabei, bis in den vordersten Reihen. Das hat auch das Regime gemerkt und es ist kein Zufall, dass dann die sexuellen Belästigungen zugenommen haben. Man hat ihren Schwachpunkt erkannt. (Nermin Ismail, dieStandard.at, 27.2.2015)