Seit dem Ausbruch der Krise in der Ukraine versucht Serbien den Spagat zwischen Moskau und Brüssel, zwischen der traditionellen slawisch-orthodoxen Schutzmacht, von dessen Erdöl und Gas das Land abhängig ist, und der EU, mit der Belgrad vor einem Jahr die Beitrittsverhandlungen begonnen hat. Während der Westen nicht gerade wohlwollend auf die "Neutralität" schaute, lobte der russische Außenminister Sergej Lawrow bis vor kurzem die Entscheidung. Doch seit wenigen Tagen hat sich die Lage geändert.
Erstmals nahm der russische Auslandssender Russia Today (RT), der mehr als 700 Millionen Zuschauer erreicht, Serbiens Regierung ins Visier. Der Unmut richtete sich gegen die Zusammenarbeit Belgrads mit der Beratungsfirma Tony Blair and Associates. Es sei derselbe Tony Blair, der 1999 als britischer Premier sagte, die Nato habe Serbien aus "humanitären Gründen" bombardiert, spottete RT. Man sprach von "politischem Selbstmord" der "Marionettenregierung" und sagte, dass Blair nach Belgrad gekommen sei, um "Kriegsbeute" zu sammeln.
Was genau Blair und seine Spin-Doktoren in Belgrad machen, ist unklar. Die kostspieligen Dienste von Blair und Co werden von den Vereinigten Arabischen Emiraten bezahlt, mit denen sich der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, gerade am Rande der Waffenmesse IDEX-2015 in Abu Dhabi auf eine enge militärische Zusammenarbeit einigte. Man wittert in Moskau offensichtlich einen indirekten Weg, US-Waffen an die Ukraine zu liefern. Die Emirate, die ein wichtiger Verbündeter der USA sind, gelten seit Jahren als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Serbiens. Sie wollen auch in die serbische Rüstungsindustrie investieren, die eifrig nach Absatzmärkten sucht.
Druck auf OSZE-Führung
Gleichermaßen irritierten Moskau die Gespräche zwischen Serbiens Premier Aleksandar Vučić und dem US-Vizepräsidenten Joe Biden darüber, wie Serbien die Abhängigkeit vom russischen Gas überwinden könnte. Nach dem Scheitern des Pipeline-Projekts South Stream sucht das Land nach alternativer Gasversorgung. Die russische Gasprom hat derzeit noch ein Quasi-Monopol auf dem serbischen Gas- und Erdölmarkt.
Für Serbien, das seit dem 1. Jänner OSZE-Vorsitzender ist, wird es immer schwerer, sich neutral in der Ukraine-Krise zu verhalten. US-Außenminister John Kerry erklärte, Serbien liege gemeinsam mit Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Georgien, Moldau und Transnistrien in der "russischen Schusslinie". Deutschland, das 2016 den OSZE-Vorsitz übernimmt, teilte Serbien unmissverständlich mit, dass es sich nicht länger "neutral" verhalten könnte.
Der Kommentator Boško Jakšić sagt, dass im "neuen Kalten Krieg" der Druck steigen würde, Partei zu ergreifen. Serbien könne nicht, wie einst das Jugoslawien Titos, auf Äquidistanz stehen. Laut Jakšić müsste es gar eine Nato-Mitgliedschaft erwägen, was wegen deren Luftangriffe auf Serbien 1999 bisher tabu war. Russische Politiker nannten solche Überlegungen "katastrophal". (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 27.2.2015)