"Es riecht nach Völkermord" - mit diesem Zitat hatte Russlands Präsident Wladimir Putin der jüngsten Ausgabe der unendlichen Gaskonflikt-Geschichte beider Länder eine emotionale Note gegeben, die das Schlimmste befürchten ließ. Putin warnte die Europäer, dass der Ukraine wegen unbezahlter Rechnungen schon am Wochenende die Gasabschaltung drohe - und damit auch der Transit Richtung Westen bedroht sei.
Hintergrund sind in diesem Fall aber nicht nur rein wirtschaftliche Interessengegensätze zwischen Kiew und Moskau, sondern auch der politische Konflikt um die Separatistengebiete in der Ostukraine. Der ukrainische Staatskonzern Naftogas hatte die Gebiete Mitte Februar mit der Begründung von der innerukrainischen Gasversorgung abgeklemmt, dass die durch Beschuss beschädigten Pipelines repariert werden müssten. Einen Zeitplan für den Wiederanschluss nannte der Energieversorger nicht.
Im Eilverfahren stellte sich Russland als Helfer zur Verfügung. Premier Dmitri Medwedew beauftragte Gasprom, mit "humanitären Gaslieferungen" direkt in die abtrünnigen Gebiete zu beginnen. Die Rechnung stellten die Helfer allerdings Kiew aus. Die Lieferungen an die "Volksrepubliken" im Osten wurden einfach von den Bestellungen der Ukraine abgezogen. Wenn Kiew sich nicht für die Versorgung der ostukrainischen Gebiete verantwortlich fühle, solle es deren Unabhängigkeit anerkennen, hieß es aus dem Kreml.
Kiew ist mit dieser Logik nicht einverstanden. Im Liefervertrag für das aktuelle Winterpaket seien die von Gasprom genutzten Pipelines nicht als Versorgungsrouten vereinbart worden. Da Naftogas die Gasmessstationen in der Region und damit den Umfang der Lieferungen nicht kontrollieren könne, forderte Kiew die direkten Lieferungen wieder einzustellen - was zu oben genanntem Zitat Putins führte.
Donbass wird extra gerechnet
Nach mehreren Tagen Streit, die geradewegs auf die Abschaltung des Gashahns hinausliefen, deutet sich nun ein Kompromiss an: Gasprom erklärte sich bereit, die Lieferungen an die Donbass-Region aus dem aktuellen Streit auszunehmen. "Gasprom ist bereit, die von Naftogas bestellten Mengen an die von ihr genannten Zugangspunkte zu liefern", sagte Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow zudem in einer offiziellen Stellungnahme des Konzerns.
Allerdings reichten die Vorauszahlungen von Naftogas auch so nur noch bis zum Ende der Woche. Ohne neues Geld könnten keine weiteren Lieferungen erfolgen, fügte Kuprijanow hinzu. Für Naftogas sei es daher dringend ratsam, schnell die nötige Finanzierung aufzutreiben. Gazprom werde sich strikt an den Vertrag halten.
Die EU-Kommission hat am Montag zu einer neuen dreiseitigen Verhandlungsrunde nach Brüssel eingeladen. Naftogas hat bereits seine Teilnahme an den Gesprächen bestätigt. Aus Moskau ist noch keine Rückmeldung erfolgt.
Klar ist, Gasprom wird einer Änderung der Lieferbedingungen nicht zustimmen. Ausgemacht wurde im vergangenen Oktober - auch damals drohte das Abdrehen des Gashahns - ein Lieferpreis von 329 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas im ersten Quartal. Gezahlt wird im Voraus. Der russische Gasriese wird gegenüber der Ukraine weiter auf Vorkasse bestehen, sodass Kiew für weitere Lieferungen schnell Geld auftreiben muss.
Gratisgas für Rebellen?
Eingeständnisse können sich nur die Rebellen erhoffen. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte am Donnerstag, Russland leiste bereits jetzt enorme Hilfeleistungen an die Region. Derzeit sei die Frage nach kostenlosen Lieferungen noch nicht geklärt. Sollte es notwendig sein, werde dies aber schnell geregelt, versprach Peskow.
Sollte der Kreml diese Ankündigung wahrmachen, dann würde das Gasprom beim derzeitigen Lieferpreis täglich rund vier Millionen Dollar kosten. Allerdings wären potenziell auch für Kiew die Kosten des Deals hoch, denn die Abgabe der Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung im Donbass wird bereits jetzt im Kreml als Argument für eine mögliche künftige Anerkennung der "Donezker und Luhansker Volksrepubliken" genannt. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 27.2.2015)