Cocktails mixen nimmt eine privilegierte Stelle ein unter all den Künsten, die die Welt köstlicher machen. Es macht (meist) weniger Dreck und Arbeit als Kochen, kann aufregend und effektvoll sein wie der erste Chemiebaukasten, und hinterher kann man sich auch noch betrinken. Noch mehr als Kochen kann Mixen dem Labor näherstehen als der Küche: Der moderne Barkeeper darf sich mit aufregenden Dingen wie Zentrifugen, Destillatoren und Trockeneis spielen. Der Amateurtrinker muss es etwas billiger geben, aber auch er darf sich gelegentlich wie ein Alchemist fühlen – etwa beim Milchwaschen.

Milchwaschen erlaubt es dem Cocktailmixer, unerwünschte, weil übel schmeckende Stoffe aus seinen Spirituosen herauszuwaschen, indem er sie mit Milch mischt, diese anschließend gerinnen lässt und herausfiltert.

Es ist eine vergnügliche Einstiegsübung in die Alkohol-Alchemie, geht ohne besondere Geräte und führt zu solch köstlichen, anders nicht möglichen Drinks wie "Tea Time": einem erfrischend sauer-süßen, perfekt balancierten Eistee mit dem Alkoholgehalt eines sehr starken Rotweins und dem herrlich-vollen Mundgefühl eines guten Whiskey Sour, der außerdem ganz fantastisch aussieht.

Foto: Tobias Müller

Tea Time ist ein geschüttelter Drink. Das bedeutet, dass er mehr verdünnt ist als etwa ein gerührter – das Schütteln sorgt für mehr Kontakt zwischen Eis und Drink und daher für mehr Eisschmelze. Ein geschüttelter Drink ist daher weniger alkoholisch als ein gerührter, meist um etwa zehn bis zwölf Prozent (hier zeigt sich, dass James Bond kein eindimensionaler Charakter ist). Gleichzeitig werden kleine Luftbläschen in der Flüssigkeit gebunden, was geschüttelten Drinks ihre Konsistenz gibt. Die Molke, die in Tea Time enthalten ist, sorgt dafür, dass er auch ohne Eiweiß ganz besonders schön schäumt. Sollten Sie jemals etwas Molke übrig haben: Frieren Sie sie zu Eiswürfeln und schütteln Sie damit Ihren nächsten Eiklar-losen Sour. Die Konsistenz des Ergebnisses ist phänomenal.

Der ganze Prozess – vom Teewodka-Machen über das Milchwaschen bis hin zum Schütteln – dauert etwa vier Stunden, das allermeiste davon ist Wartezeit. Sie brauchen dafür keine besonderen Geräte – bloß zwei handelsübliche Kaffeefilter und einen Cocktail-Shaker (oder irgendetwas, das Sie als solchen missbrauchen können, etwa ein leeres Gurkenglas).

Das Rezept für Drink und Milchwaschung stammt aus Dave Arnolds großartigem Buch "Liquid Intelligence" – einem dieser ganz seltenen Bücher, die mir eine völlig neue kulinarische Welt erschlossen haben. Meine Testtrinker waren bloß mit dem Namen "Tea Time" nicht ganz glücklich. Unter den Trinkern hat sich dann "Russian Breakfast" durchgesetzt.

Milchwasch-Theorie

Die Eigenschaft von Milch, herbe Geschmäcker runder zu machen, machen sich etwa die Briten und Ostfriesen seit Jahrhunderten zunutze, wenn sie ihr liebstes Getränk schlürfen: den Tee. Er enthält so viele Tannine, dass er sehr kalt und/oder in starker Konzentration – beides für einen Cocktail nötig – eher ungenießbar schmeckt. Dank Milchwaschen aber wird es möglich, mit ihm zu mixen.

Tannine gehören zur Gruppe der Polyphenole: Stoffe, die Pflanzen erzeugen, um sich gegen Fressfeinde zu schützen. Oft sind sie kulinarisch erwünscht, etwa als Tannine im Rotwein oder als Holzaroma in fassgereiften Whiskeys – im Übermaß schmecken sie aber mitunter unangenehm herb.

Milch enthält Kasein, eine Proteingruppe, die nicht nur Käse seinen Namen gibt, sondern sich besonders gern mit Polyphenolen (http://de.wikipedia.org/wiki/Polyphenole) verbindet. Um sie zu entfernen, wird Alkohol mit Milch gemischt und diese anschließend mit Zitronensaft oder -säure zum Gerinnen gebracht. Anschließend können die Polyphenole ganz bequem mit den geronnenen Milchbröckerln herausgefiltert werden.

Ich habe es bisher nicht ausprobiert, aber die Technik sollte es möglich machen, nicht nur Teecocktails zu machen, sondern auch mit diversen anderen Flüssigkeiten zu arbeiten, die sonst eher ungenießbar sind – von Tannenzapfen-Infusionen bis hin zu Blätter- oder Holztees. Über Hinweise und Ideen aus der Leserschaft bin ich wie immer dankbar.

Tea Time / Russian Breakfast

Tea Time ist eine alkoholische Variante des Arnold Palmer. Wodka wird erst mit ordentlich Tee gewürzt und anschließend zwecks Genießbarmachung milchgewaschen. Das Ergebnis schmeckt erstaunlich teeig, ohne unangenehm astringent zu sein. Der Wodka wird schließlich mit etwas Honigsirup, Zitronensaft und Eis zu einem erfrischend-süchtigmachenden Sundowner geschüttelt.

Fangen Sie mit dem Teewodka an: Nehmen Sie für eine 750 Milliliter Flasche Wodka etwa 24 Gramm Schwarztee und mischen Sie die beiden in einem Topf ordentlich durch.

Foto: Tobias Müller

Der Herr Arnold, ganz Perfektionist, nimmt einen Second Flush Darjeeling, ich habe einfach mittelstarke handelsübliche Supermarktware (Ceylon) genommen. Lassen Sie das Ganze etwa 30 Minuten ziehen, und rühren Sie dabei immer wieder einmal um. Das Ergebnis sollte relativ dunkelbraun sein und intensiv nach Tee schmecken.

Foto: Tobias Müller

Gießen Sie etwa 1/4 Liter Milch (egal, welche) in einen anderen Topf, filtern Sie den Tee aus dem Wodka und gießen Sie ihn zur Milch. (Halten Sie sich an die Reihenfolge. Wenn Sie die Milch zum Wodka gießen, gerinnt sie Ihnen zu früh).

Foto: Tobias Müller

Gießen Sie nun langsam frisch gepressten Zitronensaft in die Mischung, so lange, bis die Milch gerinnt. Das sollte ziemlich plötzlich passieren und recht spektakulär aussehen. Bei mir hat es etwa 25 Milliliter gebraucht.

Foto: Tobias Müller

Rühren Sie nun einige Minuten vorsichtig in dem Gemisch, bis die geronnenen Milchflankerln eine ansehnliche Größe erreicht haben und die Flüssigkeit einigermaßen nicht mehr allzu trüb aussieht. Lassen Sie die Mischung anschließend unbehelligt stehen, mindestens zwei Stunden.

Foto: Tobias Müller

Mithilfe des zweiten Kaffeefilters filtern Sie nun die geronnenen Milchproteine und die darin gefangenen Polyphenole aus dem Wodka, mithilfe des Trichters können Sie ihn teilweise zurück in die Flasche füllen.

Foto: Tobias Müller

Bedenken Sie: Weil zwar die Proteine, nicht aber die Molke aus dem Wodka entfernt wurde, haben Sie nun um etwa 130 Milliliter mehr Flüssigkeit als vorher – eine wunderbare Gelegenheit, die ersten zwei Drinks zu mixen. Der Teewodka hält sich ungefähr eine Woche. Danach ist er immer noch gut, die Molke verliert aber ihre Schaumkraft, und die Drinkkonsistenz wird nicht mehr die gleiche sein.

Bevor es Teezeit ist, mischen Sie Ihren Sirup. Herr Arnold verwendet Honigsirup und rührt dafür zwei Teile Wasser mit drei Teilen Honig (nach Gewicht) zusammen. Mir hat der Drink mit dem Honigsirup zu sehr nach, nun ja, Honig geschmeckt, ideal haben sich für mich halb Honig halb Zuckersirup (ein Teil Wasser, ein Teil Zucker) erwiesen. Halten Sie das, wie Sie wollen.

Foto: Tobias Müller

Pro Drink mischen Sie 60 Milliliter Teewodka, 15 Milliliter Sirup (siehe oben), 15 Milliliter Zitronensaft und eine Prise Salz zusammen. Packen Sie ordentlich Eiswürfel in Ihren Shaker, gießen Sie die Wodkamischung darüber und schütteln Sie das ganze kräftig für 15 Sekunden. Ihre Technik dabei ist völlig wurscht, und auch die Größe des Eises spielt keine besondere Rolle, solange Sie kein Crushed Ice verwenden. Gießen Sie den Drink durch ein Sieb in ein hübsches Glas, bestaunen Sie den Schaum und genießen Sie den vielleicht besten Eistee Ihres Lebens. (Tobias Müller, derStandard.at, 1.3.2015)

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