Wien - Ob Berichterstattung über Flüchtlinge, Bettler, eine betrunkene FPÖ-Politikerin oder im konkreten Fall über einen Minderjährigen, die Rügen des Presserates gegen die Tageszeitung "Österreich" häufen sich. Jüngster Fall ist der Artikel "Nach Sturz aus Heim - nächste Mutter klagt an", der am 17. Juni 2014 erschien. Der Presserat stellte gleich mehrere Verstöße gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse fest, wie es in einer Aussendung heißt.

Foto und Angaben zur Identität

In dem Artikel wird von Vorwürfen einer Mutter berichtet, dass ihr minderjähriger Sohn von einer Betreuerin in einem Kinderheim verprügelt worden sei. Dabei werden der Vorname des Minderjährigen und sein Alter genannt, darüber hinaus auch der Name des Heims, in dem er sich aufhält, sowie der Vorname und der Anfangsbuchstabe des Nachnamens seiner Mutter. Dem Artikel ist ein Foto der Mutter beigefügt, auf dem sie ein Foto ihres Sohnes in der Hand hält, wobei die Augenpartie des Minderjährigen verpixelt ist.

Der betroffene Bub im Volksschulalter wandte sich über den obsorgeberechtigten Jugendwohlfahrtsträger an den Presserat und brachte vor, dass er durch den Artikel in seiner Persönlichkeit verletzt worden sei. Darüber hinaus sei das Foto mit seinem Bild ohne Zustimmung des Obsorgeberechtigten - des Jugendwohlfahrtsträgers Land Wien - veröffentlicht worden. Außerdem sei ein Zitat einer Mitarbeiterin des Jugendamts erfunden.

Verletzung der Persönlichkeitssphäre

Der Senat hält zunächst fest, dass der betroffene Bub anhand der über ihn veröffentlichten Informationen (Name, Alter, Aufenthalt, nur teilweise verpixeltes Foto) identifiziert werden konnte. In dem Bericht wird detailliert geschildert, wie der Betroffene von seiner Betreuerin im Kinderheim misshandelt worden sein soll. Der Senat sieht darin eine Verletzung der Persönlichkeitssphäre und somit eine Verstoß gegen Punkt 5.1 des Ehrenkodex. Gleichzeitig wurde auch in die Intimsphäre des Buben eingegriffen (Punkt 6.1 des Ehrenkodex).

Medienpräsenz als Belastung

Kritisiert wird, dass der Betroffene aufgrund des Berichts identifiziert werden konnte. Die identifizierende Berichterstattung, insbesondere die Veröffentlichung des nur teilweise verpixelten Bildes des Buben, im Zusammenspiel mit der Schilderung qualvoller Details der Misshandlung sei nicht durch das öffentliche Interesse gedeckt. Die Medienpräsenz des Falles sei laut zuständigem Obsorgegericht für den Minderjährigen sehr belastend gewesen. Auch dieser Umstand spreche dafür, dass hier besondere Zurückhaltung in der Berichterstattung angebracht gewesen wäre, so der Senat.

Der Senat fordert die Medieninhaber der Tageszeitung "Österreich" auf, die vorliegende Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen. "Österreich" ist nicht Mitglied des Presserats und hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, nicht Gebrauch gemacht. (red, derStandard.at, 27.2.2015)