Wien – Ein unverbrüchliches Gesetz des Marktschreiergewerbes lautet, dass weniger weniger und mehr mehr ist. Insofern überrascht es nicht, dass vor dem Konzert Katy Perrys in der Wiener Stadthalle neben konsumunkritischer Gangster-Rap-Musik auch Werbung läuft. Katy Perry weiß als Kind einer Zeit, in der für Musik höchstens live gezahlt wird, dass ein Parfum mit ihrem Namen drauf beim Konzert hundert Prozent der weiblichen Zielgruppe erreicht. Der Rest lässt sich locker mit Sponsorengetöse in Sachen Auto und Mobilfunk füllen. Man kann mit diesem ergänzenden Finanzierungsmodell übrigens auch den Eintrittspreis für 13.500 Besucher mit jeweils 80 Euro relativ niedrig halten. Eine Handwerkerstunde kostet mehr!
Hey, aber für die Kohle wird ordentlich etwas geboten. Katy Perry und zwei Handvoll mythische und mit Leuchtwürsten, blinkenden Irokesen-Toupets und scheißgefährlichen Neonspeeren bewaffnete KriegerInnen erzählen tänzerisch die Geschichte des alten Ägypten unter besonderer Berücksichtigung des Musicals König der Löwen, der Science-Fiction-Serie Stargate und des handelsüblichen Pyramidenbrimboriums nach. Pyramide auf, Pyramide zu. Lichtstrahl aus der Pyramide raus in das Weltall. Das Weltall schickt einen sehr wahrscheinlich göttlichen Leitstrahl zurück. Sonne, Mond und: Dort oben leuchten die Sterne, hier unten leu-heuchten wir. Gesungen wird irgendetwas über das Auge des Tigers, was aber egal ist, weil die KriegerInnen jetzt in eine Kombination aus Fetischmode und Asterix und Kleopatra gewechselt haben. Die Musik ist klassischer Autodrom- und Rummelplatz-Soundtrack. Das bedeutet, dass sie sehr meinungsstark auftritt. Die Bässe pumpen tief, druckvoll und beständig. Darüber macht das Tagada irre Geräusche. Gleich reißt es sich aus seiner Verankerung und kracht in die benachbarte Spielautomatenhalle. Dring-dring-dring, Jackpot!
Toleranzschlager mit Mumien
Wenn man jetzt loslassen würde, könnte man sehr gut dazu tanzen. Sehr viele sehr junge Leute, aber auch die Eltern, die nicht gerade irgendwo weiter hinten resignieren, tanzen jetzt. Katy Perry sitzt inzwischen auf einem aus dem Bühnenboden aufgefahrenen mythischen Pferd und reitet atemlos durch die Nacht. Später schlägt sie das Pferd und auch ihre Fetisch-Ägypter mit den Hundemasken zum pumpenden Rhythmus eines konsumunkritischen R-'n'-B-Tracks mit einer Peitsche. Dabei sind doch bisher alle brav gewesen! Katy zeigt sich aber gleich wieder versöhnlich. Zum mutigen Toleranzschlager I Kissed A Girl herzt sie großbusige Mumien. Wenn bloß nicht diese sirenenhafte Stimme wäre, mit der man Plüschtiere zerschneiden kann.
In den Tempel von Quietschente und Smartphones kommt nun eine große schwarze Katze gepoltert und verscheucht die TänzerInnen zu einem neuerlichen Kostümwechsel. Die Katze, das heilige Tier der Ägypter. Die Kaiserin der Facebook-Fotos. Sie macht einen Sprung durch das Tor der Zeit. Plötzlich befinden wir uns im Shopping- und Fashion-Wunderland von Katy Perrys real existierendem Haustier Kitty Purry. Der König der Löwen mutiert zu Cats. Die Musik stellt das Autodrom auf den Broadway. Katy zieht den Katzen-TänzerInnen mit ihrem Gesang das Fell über die Ohren. Der Saal geht durch die Decke.
Danach werden in zwei totalitär vergnüglichen Stunden noch fetter Hip-Hop, dicke Hosen und schwere Autos im Rahmen einer Streetparty zitiert. Das Tagada erlebt während einer Beschwörung des vor einem Vierteljahrhundert umgehenden Eurodance und der dazugehörigen Gute-Laune-Medikamente mit dem Smiley drauf einen letzten Höhepunkt. Vorher allerdings macht uns die kalifornische Pastorentochter auf einer kleinen Bühne in der Saalmitte mit einem länglichen Lagerfeuermusikblock im Zeichen der christlichen Jungschar nachdenklich (By the Grace of God), bevor sie am Ende zu Birthday auf einem Trapez durch den Saal fliegt und begeisterten Hobbyfotografen Einblicke in ihr Privatleben gewährt. Als letzte Zugabe kommt natürlich der zu Toleranz und Conchita Wurst aufrufende Welterschütterungssong Fireworks. Der heimlich sehr sensible nordkoreanische Diktator Kim Jong-un meint im Film The Interview zu diesem Lied: "Katy Perry has very powerful words." Peng, peng. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 27.2.2015)