Der Arm mit der geballten Faust droht noch von manchen Betonpfeilern und Häuserwänden wie eine leere trotzige Warnung. "Hoffnung ist auf dem Weg" , steht daneben. Der Kopf von Alexis Tsipras, der dazugehört, ist längst weg. Ausradiert vom Regen und von den Händen jener, die ihn nicht leiden können. Für die Fotografen der internationalen Presseagenturen sind die alten Wahlplakate nun ein beliebtes Motiv: Seht nur, der Lack ist ab. Vier Wochen im Amt - und aus der Traum vom linken Befreiungsschlag, dem Ausbruch der Griechen aus dem Spardiktat der Kreditgeber.
Aber so schnell geht es dann doch nicht im Land der Posen und Statuen. "Nein", sagt Katarina, "sie haben einen Versuch gemacht. Sie haben versucht, mit der Troika zu verhandeln. So etwas haben wir bisher nicht gesehen." Katarina heißt nicht Katarina, denn sie wird unschöne Dinge aus ihrem Büro erzählen bei IKA, der schwer defizitären Sozialversicherungsanstalt, die Pensionen und Gesundheitskosten für mehr als fünf Millionen Griechen zahlt, die Hälfte der Bevölkerung. Und die hofft immer noch auf Syriza, die linke Regierungspartei und ihren Premier Tsipras, so versichert die Sachbearbeiterin: "Die Stimmung ist eigentlich gut."
Zehn Stunden hat Alexis Tsipras diese Woche mit seiner Parlamentsfraktion gesprochen, diskutiert, sich verteidigt. "Wir haben ein Überbrückungsabkommen sichergestellt, das den Plan durchkreuzt hat, diese Regierung finanziell zu ersticken", sagt Tsipras. Den Arm mit der geballten Faust gibt es immer noch.
Doch nach einem Monat Schaukampf in Brüssel und einem Kompromiss mit der Eurogruppe, den Finanzministern der Euroländer, beginnen jetzt die wirklichen Schwierigkeiten. Syriza starrt in ein Haushaltsloch, das schnell größer wird. Viele Griechen haben vor den Wahlen im Jänner aufgehört, Steuerschulden zu begleichen - der politischen Unsicherheit wegen, heißt es entschuldigend. Zwischen fünf und sieben Milliarden Euro fehlen bereits im Haushalt für dieses und nächstes Jahr, so schätzt das Finanzministerium. Im März werden schon wieder Zinsen fällig.
Sieg ohne Blutvergießen
"Es ist eine Schachpartie mit unbekannten Spielern und unbekannten Zügen", sagt Giorgos Papadatos über Syriza und ihren Kampf mit den Deutschen, "und bisher kriegen sie es ganz gut hin." Papadatos, ein Mann über 70 mit einer langen grauen Haarmähne, hat einen großen Buchladen in einer Seitengasse in Monastiraki, nicht weit von der Agora unterhalb der Akropolis entfernt. Er sitzt, wie es sich für einen Antiquar gehört, hinter einem Wall von Büchern und Zeitschriften an seinem Schreibtisch im trüben Licht eines Computerbildschirms, immer eine Zigarette in der Hand.
Syriza bleibt ein Phänomen für die Griechen. "Es ist das erste Mal, dass die Linke in Griechenland ohne Blutvergießen an die Macht gekommen ist", so Papadatos. "Ich meine, die richtige Linke - nicht Papandreou und seine Pasok."
Im politischen Gedächtnis der Griechen findet sich immer irgendwo noch der Bürgerkrieg, das Trauma von der zerrissenen Nation, auch wenn es nur noch wenige Menschen gibt, die aktiv die blutigen dreieinhalb Jahre vom Frühjahr 1946 bis Herbst 1949 erlebt haben.
Die Miliz der Kommunisten ist damals besiegt worden, ihre Anhänger wurden interniert. 1981 gewann der Sozialist Andreas Papandreou, versprach den Austritt aus der Nato und blähte den Staatsapparat auf mit Jobs für alle, die seine Pasok wählten. Es war der Grundstein für die heutige Finanzkrise.
Die Beamten von Pasok und Nea Dimokratia, der konservativen Dauerregierungspartei, gibt es heute noch. Sie existieren neben den Jüngeren, meist in Führungspositionen und ohne große Qualifikation. "Du bist im öffentlichen Dienst, du hast ein sicheres Gehalt, und du tust nichts", erzählt Katarina, die Sachbearbeiterin von IKA. Die Chefin der 38-Jährigen ist so ein Fall. "Sie kümmert sich grundsätzlich nicht um Probleme. Sie kennt sich auch nicht aus", erzählt Katarina, "die Entscheidungen bei den Pensionsfragen muss ich treffen."
Zehn Kollegen in Katarinas Abteilung sollten in die sogenannte Arbeitsreserve geschickt werden, den Beamtenpool, den Griechenlands Kreditgeber schaffen ließen, um Staatsbedienstete auf einem Umweg zu kündigen. Nur zwei hat es am Ende wirklich erwischt; die anderen in Katarinas Büro plädierten mit Erfolg auf soziale Härte.
Ratlosigkeit bleibt
Mit jeder geplatzten Sitzung in Brüssel ist die Unterstützung von Syriza, der Koalition der radikalen Linken, wie die Partei heißt, nur gestiegen: von 36 Prozent bei den Wahlen Ende Jänner auf 60 bis 70 Prozent in den Umfragen im Februar. Seit die Regierung ihren vagen Handel mit der Eurogruppe schloss, hat eine neue Phase begonnen. Wohin die Reise geht, wissen die Griechen nicht.
Auf Trotz und Euphorie folgt die Ratlosigkeit. "Jemand sollte mir sagen, was ein Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone wirklich kostet", sagt Papadatos, der Buchhändler. "Wenn ich jemandem Geld schulde, ist es dann nicht besser, mich am Leben zu lassen und immer wieder Stück für Stück zahlen zu lassen?"
1000 Euro verdient Katarina jetzt - ein Drittel weniger als vor Beginn des Sparregimes vor fünf Jahren. Nach Abzug von Miete und Kosten für Strom, Auto und Mobiltelefon bleiben ihr noch 400 Euro zum Leben im Monat. Und billig ist Griechenland nicht. Für Leute wie Katarina, so sagt ihre Freundin Elena, geht es darum, das Leben von früher wieder zu bekommen. Deshalb unterstützen sie Syriza. Elena aber, eine Archäologin im selben Alter, hatte nie eine feste Stelle. "Ich habe nicht wirklich etwas verloren", sagt sie. Ihr Urteil über die Linke, die nun regiert, ist vernichtend.
"Sie wollen einen Populisten"
Syriza ist die Revanche der Verlierer und Uneinsichtigen, sagt Elena. "Sie sind wegen ihrer Versprechen gewählt worden, alles rückgängig zu machen - die Grundsteuer, die Pensionskürzungen, die Beamtenentlassungen", sagt die Archäologin. "Und dann wird alles besser?" Zehn Jahre hätten man über die Verhältnisse gelebt, aber von irgendwo müsse das Geld ja herkommen, damit der Staat wieder aufrecht stehen kann, sagt sie: "Die Griechen wollen einen populistischen Führer, und den haben sie jetzt wieder."
Es gibt auch jene, die Alexis Tsipras und seine geballte Faust gut finden, aber trotzdem auf die Bank gehen und ihre Konten leeren. Die kann Georgia, eine Angestellte bei der Piräus Bank und Syriza-Wählerin, gar nicht ausstehen. "Das hier ist eine kritische Zeit. Wir sollten zusammenstehen." Zwischen 10.000 und 200.000 Euro hoben die Kunden Tag für Tag ab. Es waren Ersparnisse, die nun zu Hause versteckt werden, oder Firmenguthaben, die ins Ausland überwiesen wurden. Seit dem Kompromiss mit der Eurogruppe ist das vorbei, sagt Georgia. "Wir sind okay. Für den Moment." (Markus Bernath, DER STANDARD, 28.2.2015)